Wenn die Wörter fehlen

Christas Eltern sind besorgt. Mit zweieinhalb Jahren beschränkt sich der Wortschatz ihrer Tochter auf "Mama" und "Papa". Gleichaltrige Spielkameraden sprechen dagegen schon in Zweiwortsätzen. Dabei ist Christas Hörfähigkeit nicht eingeschränkt. Sie hat wie 13 bis 20 Prozent der Zweijährigen eine verzögerte Sprachentwicklung.

 Bücher spielen eine große Rolle beim Spracherwerb. Doch das richtige Vorgehen will für Eltern gelernt sein. TV-Foto: Sybille Schönhofen

Bücher spielen eine große Rolle beim Spracherwerb. Doch das richtige Vorgehen will für Eltern gelernt sein. TV-Foto: Sybille Schönhofen

Trier. Einfach abzuwarten, dass sich eine verzögerte Sprachentwicklung "auswächst", kann ein Fehler sein. Denn das Risiko, dass sie sich manifestiert, ist hoch. Spätere Folgen können Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben und andere Probleme in der Schule sein. Darüber hinaus wird die Beziehung zu Eltern oder Gleichaltrigen erschwert, wenn sich ein Kind nicht sprachlich ausdrücken kann. In der Regel überweist der Kinderarzt Kinder wie Christa erst mit vier Jahren zu einer logopädischen Sprachtherapie. Doch so lange muss man sich demnächst nicht mehr gedulden: Nach den Sommerferien startet in Trier ein Angebot, das sich speziell an Eltern Zwei- bis Dreijähriger richtet, die weniger als 50 Wörter sprechen können und keine Zweiwortkombinationen bilden. Das Programm nennt sich "Heidelberger Elterntraining zur frühen Sprachförderung" und wurde an der Universität Heidelberg entwickelt. Es soll Eltern darin schulen, wie sie ihrem Kind besser helfen können, die Sprache zu erlernen. Simone Kaschny bietet das Elterntraining demnächst in ihren beiden Praxen in Trier an. Die Logopädin und eine ihrer Mitarbeiterinnen haben dazu eine Ausbildung direkt bei Anke Buschmann genossen, die das Sprachförderprogramm entwickelt hat. Buschmann ist Diplom-Psychologin an der Universitätskinderklinik Heidelberg, wo das Konzept bei den kleinen Patienten bereits erfolgreich eingesetzt wird. Eine Studie hat die Wirksamkeit des Elterntrainingsprogramms wissenschaftlich belegt. Simone Kaschny wurde darauf aufmerksam, weil sie ein Angebot suchte, das die Eltern stärker in die Therapie einbindet. "Hauptziel ist es, die Eltern in ihrer Kompetenz als wichtigster Kommunikationspartner der Kinder zu stärken", sagt Kaschny. In kleinen Gruppen üben die Eltern, wie sie sich im Alltag sprachförderlich verhalten können. Handlungen in Worte kleiden

Dabei kann sogar das Wäscheaufhängen dienlich sein. Es kommt darauf an, dass die Eltern ihre Handlungen in Sprache kleiden, erläutert Simone Kasch ny. Das funktioniert so, dass sie die Wäschestücke benennt und erklärt: "Ich hänge jetzt die Bluse auf die Leine." Möchte sie dem Kind dazu noch Präpositionen beibringen, kann sie hinzufügen: "Ich hänge jetzt die Bluse neben die Hose."Wie wichtig Bücher für den Spracherwerb sind, ist kein Geheimnis. Doch auf was Mama und Papa beim Bilderbuchanschauen achten sollten, liegt nicht gleich auf der Hand. Simone Kaschny rät: "Wer mit den Kindern die Bilder betrachtet, sollte immer darauf achten, wohin das Kind blickt, um die Aufmerksamkeit auf dasselbe zu richten. Es sollte auch kein Abfragen werden. Und das Kind soll entscheiden dürfen, was es anschaut. Wenn es also das Buch von hinten aufschlägt, nicht eingreifen!" Die Logopädin betont, wie wichtig es ist, sich auf die gleiche sprachliche Ebene mit dem Kind zu begeben: Macht das Kind das Brummen eines Motors nach, sollten Eltern die Lautmalerei in der Kommunikation getrost aufgreifen. Eine Voraussetzung für eine gelungene Entwicklung ist, dass Kinder Sprache positiv erleben. Daher rät Simone Kasch ny davon ab, das Kind mit einem "Nein" zu verbessern. Sagt es "Bubu" und zeigt dabei auf ein Auto, können die Eltern mit "Ja, das ist ein Auto" angebracht reagieren. Mittels solcher Sprachlehrstrategien vermittelt das Heidelberger Sprachförderprogramm Eltern, wie sie gezielt sprachliche Aussagen aufgreifen und erweitern können. Dabei sollen sie Sicherheit im sprachlichen Umgang mit ihrem Kind gewinnen. Kontakt: Logopädische Praxis Kaschny, Pellinger Straße 35 a, Telefon 0651/9663866, und Aachener Straße 63, Telefon 0651/9937988. Kosten für sieben Termine: 250 Euro. Hintergrund Die meisten Kinder sprechen bereits mit zehn bis 14 Monaten ihre ersten Wörter, benutzen zum zweiten Geburtstag 100 bis 200 Wörter und bilden kleine Sätze. 14 bis 20 Prozent aller Kinder dagegen beginnen erst mit 18 bis 24 Monaten zu sprechen. Diese "Spätsprecher" lernen auch später nur mit Mühe neue Wörter und bilden oftmals erst mit drei Jahren ihren ersten Zweiwortsatz. Sie tragen das Risiko, eine Sprachentwicklungsstörung auszubilden. Denn nach wissenschaftlichen Untersuchungen ist nur ein Drittel dieser Kinder in der Lage, den sprachlichen Rückstand ohne Hilfe aufzuholen. Die anderen Kinder benötigen oftmals eine langjährige logopädische Behandlung. (sys)

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