Soziales Politische Alibi-Aktion

Zum Artikel „Mindestlohn soll in vier Stufen auf 10,45 Euro steigen“ (TV vom 1. Juli) schreibt Heinz Erschens:

Zum Artikel „Mindestlohn soll in vier Stufen auf 10,45 Euro steigen“ (TV vom 1. Juli):

Die hochentwickelte, arbeitsteilige Weltwirtschaft erlitt den schwersten Kollaps in der Nachkriegsgeschichte, für den es keine Lösungsschablone gibt. Politiker und Ökonomen, die von sich glaubten, alle Geheimnisse der Weltwirtschaft entschlüsselt zu haben, laufen Gefahr, ebenso falsche Werkzeuge für die notwendigen Reparaturen zu benutzen wie einst die mittelalterlichen Heiler und Gesundbeter während der Pestilenz. Von den inzwischen zuhauf auftretenden Klugscheißern in den „sozialen Medien“ ganz zu schweigen. Es fällt schwer zu glauben, dass die pandemie-bedingten Probleme mit den alten Rezepten zu lösen sind. Weltweite Unternehmen, teilweise ohne Moral, und Spekulanten ohne Skrupel, lässig im Umgang mit den Regeln des ehrbaren Kaufmanns und so manchen Gesetzen, glauben eher an die Selbstheilungskräfte des Marktes. Das ist für manchen auch nachvollziehbar, weil die Politik den Markt nicht beherrscht, sondern der Markt die Politik.

Das System funktioniert im Allgemeinen sehr gut und hat für viele nachweislich Wohlstand gebracht. Jedoch eine große Anzahl von Arbeitnehmern im Niedriglohnsektor wurde von diesem Wohlstand abgekoppelt. Sie haben das Gefühl der Geborgenheit in einen Staat, der Sicherheit und sozialen Schutz garantiert, verloren. Die jetzt beschlossene geringfügige Erhöhung des Mindestlohns kann nur als politische Alibi-Aktion betrachtet werden. In Euro und Cent ausgedrückt wirken diese Summen lächerlich. Ob es böser Wille oder auf komplette Unfähigkeit der Politiker zurückzuführen ist, dass die auf uns zukommende Armutswelle nicht erkannt wird, möchte ich nicht beurteilen. Das Geld des Mindestlohns wird naturgemäß direkt dem Markt zugeführt und hält den Wirtschaftskreislauf in Bewegung. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Geld auf der hohen Kante gestapelt wird oder in irgendwelchen Steueroasen verschwindet, ist gering, eher nicht möglich.

Natürlich durfte auf den Warnruf der Arbeitgeberverbände nicht verzichtet werden, die von einer Gefährdung der Wirtschaft und somit auf eine Gefahr für die Beschäftigung hinweisen mussten. Diese Begleitmusik ist jedes Jahr mit den selben Misstönen besetzt, die die Harmonie im Orchester der Marktwirtschaft eher schädigen. Es muss nicht bewiesen werden, dass die Wirtschaft zerstört wird, wenn die Putzfrau ordentlich bezahlt wird. Es ist entscheidend, dass jeder am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben kann und fair an den durch seine Arbeit geschaffenen Werten beteiligt wird. Falsch gelenkte Geld­ströme von fleißig nach reich sind genau so verkehrt wie von unten nach oben. Richtig wäre von reich nach fleißig. Aber daran zu denken kommt einer Gotteslästerung gleich. Reichtum und Vermögen lösen keine Probleme, sondern schaffen neue. Man sollte erkennen, dass bei einer Abwärtsspirale extreme Parteien stärkeren Zulauf bekommen. Die werden es zwar nicht besser machen, aber vieles auf eine Art und Weise, die sich keiner wünschen kann.

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