Debatte um "Armutszuwanderer": Zwischen Panikmache und Missbrauchsverdacht

Berlin · Die CSU möchte Sozialleistungen kürzen, um "Armutszuwanderer" zu bremsen. Eine berechtigte Forderung, oder ist alles nur Panikmache? Wir erklären die Rechtslage für EU-Ausländer und die Praxis.

Seit Wochen trommelt die CSU für eine härtere Gangart gegen sogenannte Armutszuwanderer. Diesen Kurs hat die Partei in ihrer Neujahrsklausur am Dienstag noch einmal bekräftigt. Politischer Auslöser für den Vorstoß ist die seit dem 1. Januar geltende volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Zuwanderer aus den EU-Staaten Bulgarien und Rumänien. Erhebt die CSU mit ihrem Vorstoß zur Zuwanderungspolitik eine berechtigte Forderung, oder ist alles nur Panikmache? Hier die wichtigsten Informationen über die Rechtslage für EU-Ausländer und die Praxis.

Bekommen arbeitslose Ausländer automatisch Hartz IV?
Nein. Nach dem Sozialgesetzbuch haben arbeitsuchende Ausländer in Deutschland grundsätzlich keinen Anspruch auf Hartz IV. Erst wenn ein EU-Ausländer fünf Jahre lang in Deutschland gelebt hat, egal, ob mit oder ohne Job, wird er im Sozialrecht den Bundesbürgern gleichgestellt. Das heißt, er hat dann ebenfalls Anspruch auf alle entsprechenden Leistungen des Staates. Umgekehrt gilt die Fünf-Jahres-Frist auch für Bundesbürger, die in einem anderen EU-Staat leben und dort bedürftig werden.

Was hat es mit der Drei-Monats-Frist auf sich?
Hat ein Arbeitsuchender aus der EU nach drei Monaten keinen Job gefunden, wird nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit auf Antrag der Zweck seines Aufenthaltes in Deutschland geprüft. Bleibt die Person arbeitsuchend, erhält sie auch weiterhin keine staatliche Unterstützung. Möglich wäre aber zum Beispiel, dass ein EU-Ausländer zwischenzeitlich eine Deutsche geheiratet hat. In diesem Fall ändert sich der Aufenthaltszweck, was bei Bedürftigkeit zu einem Leistungsanspruch führt. Aber erst nach den ersten drei Monaten seines Aufenthaltes in Deutschland.

Gibt es Ausnahmen beim Leistungsausschluss?
Ja. Im Freizügigkeitsgesetz ist festgelegt, dass ein Anspruch auf Sozialleistungen besteht, wenn ein EU-Ausländer im ersten Jahr in Deutschland unverschuldet seine Arbeit verliert, etwa wegen einer Firmenpleite. In solchen Fällen gibt es bis zu sechs Monate lang Hartz IV. Ein ergänzender Bezug dieser Leistung wird dann wirksam, wenn sich ein EU-Ausländer selbstständig gemacht hat, aber seine Einkünfte nicht reichen, um sich oder seine Familie zu ernähren.

Wie groß ist die Gefahr des Missbrauchs?
Die CSU mutmaßt, dass selbstständige Ausländer ganz bewusst die deutschen Sozialkassen strapazieren. Deshalb will sie für die ersten drei Monate eine "generelle Aussetzung" von Sozialleistungen durchsetzen. Der Deutsche Städtetag fordert einen Nachweis für die Selbstständigkeit, um Missbrauch zu bekämpfen. Nach den Zahlen der Bundesagentur gab es 2012 allerdings nur etwa 1500 Bulgaren und Rumänen in Deutschland, die als Selbstständige aufstockende Leistungen bezogen.

Was ist mit dem Kindergeld?
Nach geltendem Recht brauchen EU-Ausländer praktisch nur eine deutsche Wohnadresse, um Kindergeld beantragen zu können. Egal, ob der Nachwuchs in Deutschland oder im Herkunftsstaat lebt. Diese Regelung birgt zweifellos die Gefahr des Missbrauchs. Der SPD-Politiker Heinz Buschkowsky, Bürgermeister im Ausländer-Problembezirk Berlin-Neukölln, hält sie für "absurd". Laut Bundesarbeitsagentur lag der Anteil der Bulgaren und Rumänen mit Kindergeldanspruch Ende 2012 (7,9 Prozent) allerdings niedriger als im Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung in Deutschland insgesamt (15,3 Prozent).

Warum klagen Kommunen über Armutszuwanderung?
Der Städtetag sieht kein "Massenphänomen", aber eine Konzentration der Zuwanderung von schlecht oder gar nicht ausgebildeten Rumänen und Bulgaren auf bestimmte Metropolen wie Berlin, Dortmund oder Duisburg. Die betroffenen Kommunen werden insbesondere durch zusätzliche Ausgaben für Notunterkünfte, Gesundheitsversorgung oder Sprachkurse belastet. Deshalb fordern sie Hilfen von Bund und Ländern.

Wie viele Bulgaren und Rumänen leben in Deutschland?
Nach aktuellem Stand sind es 320 000 Erwachsene und Kinder, wobei der Kinderanteil geringer als der in der deutschen Bevölkerung ist. Rund die Hälfte der Menschen (155 000) ist erwerbstätig. Unter ihnen gibt es knapp 3000 Ärzte. 15 000 sind arbeitslos gemeldet, 38 000 beziehen Hartz IV. Das ist im Vergleich zu den anderen EU-Ausländern unterdurchschnittlich. Nur rund ein Drittel der bulgarischen und rumänischen Zuwanderer haben keine Qualifikation. Die Bundesagentur für Arbeit ist jedoch optimistisch, sie integrieren zu können. Ihre Argumentation lautet, bislang seien Bulgaren und Rumänen nur dort zum Zuge gekommen, wo Knappheit herrsche, wie zum Beispiel in der Landwirtschaft oder im Gesundheitswesen. Nun stehe ihnen der gesamte Arbeitsmarkt in Deutschland offen.

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