Abschied vom Raumschiff

Luxemburg · "Into the wild" - das Motto im diesjährigen Luxemburger Neue-Musik-Festival "rainy days" war Programm. Statt sich nur auf die Konzertsäle der Philharmonie zu beschränken, veranstaltete man spektakuläre Events auswärts - in einem verfallenen Hotel, auf dem "Bock"-Felsen, auf dem Theater-Parkplatz. Freilich war dieses Konzept auch mit Risiken verbunden.

 Exzellent: Dirigent Ilan Volkov bei „Berlin-Helsinki“ zur Eröffnung der Luxemburger „rainy days“. Foto: PhilHarmonie Luxemburg

Exzellent: Dirigent Ilan Volkov bei „Berlin-Helsinki“ zur Eröffnung der Luxemburger „rainy days“. Foto: PhilHarmonie Luxemburg

Foto: Martin Dr. Möller (mö), Alfonso Salgueiro Lora ("TV-Upload Dr. M?ller"

Luxemburg. Das Eröffnungskonzert war wie ein Signal. Luxemburgs Philharmonie hatte den Start zum Neue-Musik-Festival der "rainy days" in ein traditionelles Abo-Konzert verpackt. Wer zu "Berlin-Helsinki" aus der "Aventure"-Reihe des Orchestre Philharmonique (OPL) ging, wurde damit automatisch Zeuge der "rainy days"-Eröffnung.
Glänzende Interpretation


Die Absicht ist klar: Neue Musik sollte ins Gesamtprogramm der Philharmonie und in die Lebenswirklichkeit der Menschen aufgenommen werden, statt als eine Art Raumschiff ein teils freundlich begleitetes, teils nur geduldetes Eigenleben zu fristen. Immerhin kamen zur Eröffnung etliche Hundert Besucher. Neben einer glänzenden Interpretation der spätromantisch-vielschichtigen Siebten von Sibelius durch das OPL unter Ilan Volkov nahm sich die Komposition "Kraft" von Sibelius-Preisträger Magnus Lindberg mit dem OPL und Lindbergs eigenem Toimii-Ensemble freilich wie ein wuchtiges Relikt der 1980er Jahre aus.
"Into the wild" - das Motto der "rainy days" 2016 spiegelt den Versuch, Konzertbesucher da abzuholen, wo sie stehen, statt sich auf eine Minderheit von Neue-Musik-Fans zu verlassen. Es lässt gleich mehrere Assoziationen zu - geografische, biologische, soziologische, psychologische, kulturelle. Atonale Konzerthausmusik gab es auch, und mit Formationen wie dem "ensemble recherche" auf höchsten Niveau. Auch die Sinfonie Nr. 4 von Jorge E. Lopez, aufgeführt vom OPL unter Ilan Volkov, gehörte zu den echten Entdeckungen im diesjährigen Festival.
Sie blieben allerdings im Hintergrund gegenüber spektakulären Events. "Black mirror" mit dem exzellenten "Lucilin"-Instrumentalensemble lotste die Teilnehmer durch die Räume eines verfallenen Hotels, ließ die Musiker im leeren Pool spielen und entfaltete eine teils skurrile, teils schaurige Vision von Leben am Rande der Zivilisation - und das Ganze in unmittelbarer Nähe zu Luxemburgs Innenstadt! Auf dem "Bock"-Felsen, einem Relikt der luxemburgischen Befestigung, entfalteten 150 junge Akteure ein klingendes Panorama - Symbol für die "Festung Europa" in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise. Das London Jazz Composers Orchestra, für das die Philharmonie eigens mit Plakaten warb, gab sich daran, die immer noch große Distanz zwischen Rock/Pop und klassischer Avantgarde zu überbrücken.
Chancen und Risiken


Freilich zeigte sich schon in der Eröffnung, dass mit dem Konzept nicht nur Chancen verbunden waren, sondern auch Risiken. Fraglos sprachen die "rainy days" mit ihren unkonventionellen Aktionen auch Menschen an, die Neue Musik nicht kannten, oder auf Atonalität komplett ratlos reagierten. Andererseits zeichnete sich die Gefahr ab, dass die "days" verwässern und ihren Kern verlieren.
Der ist nun mal die Avantgarde, wie sie sich seit Ende der 1940er Jahre entwickelt hat. Bei John Fords Stummfilm-Klassiker "3 Bad men" und einer rockmusikalischen Untermalung war die Grenze zur Beliebigkeit dann ganz sicher überschritten.
Zum letzten Mal hat Bernhard Günther, langjähriger Chefdramaturg der Philharmonie, die "rainy days" konzipiert. Er wechselte am 1. September zu "Wien modern". Nachfolgerin Lydia Rilling wird auch die "rainy days" weiterführen - in welche Richtung, bleibt vorläufig noch offen.

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