Klassik Glücksgefühl nach dem Schlussakkord

Trier · Klarinettistin Bettina Aust beeindruckt im 5. Trierer Sinfoniekonzert im Theater.

„Das war Weltklasse“, sagte ein Konzertbesucher, und er hatte recht. Was Bettina Aust in Carl Nielsens hochkomplexem Klarinettenkonzert an Souveränität und Sensibilität offenbarte, raubt fast den Atem. Da besticht die Fingerfertigkeit der Solistin, ihre Fähigkeit und der große, kernige Ton, der auch in Extremlagen nicht schrill und angestrengt wird. Es besticht in den langsamen Abschnitten die wunderbare Lyrik von Klang und Klanggestaltung. Und es bestechen die perfekte Integration ins ergänzende Orchester und die Souveränität von Dirigent Jochem Hochstenbach.

Das war die zweite Entdeckung dieses an neuen Erfahrungen reichen Sinfoniekonzerts: Carl Nielsen (1865-1931) hat mit diesem Klarinettenkonzert ein Werk höchster Potenz geschrieben. Sein Orchestersatz ist sparsam und doch gehaltvoll. Und wo gibt es sonst in der Musik diese spannende Kombination aus kleiner Trommel (Fred Boden) und Solo-Klarinette? Es ist über die gesamte Distanz eine „sprechende“ Musik – beim ersten Eindruck nordisch kühl und doch von einem Reichtum und einer Vielfalt, die den Hörer nicht loslassen. Hat in Trier jemals ein Klarinettenkonzert diese Virtuosität, diese Klangkultur und diese musikalische Kompetenz entfalten können?

Begonnen hatte das 5. Sinfoniekonzert mit der Tondichtung „En saga“ von Jean Sibelius. Es ist ein recht frühes Werk, und vielleicht schwingt in den Klangflächen der Streicher, den statischen Bläser-Akkorden und den deutlichen Klang-Kontrasten noch etwas Vorläufiges mit. Aber Hochstenbach und die maßvoll verstärkten Philharmoniker suchten ihr künstlerisches Heil nicht in einer falschen Dynamisierung. Sie zielten auf das Moment, das Sibelius von wahrscheinlich allen Zeitgenossen unterscheidet. Was scheinbar statisch daherkommt, wird bei ihm mehr und mehr zu einer allmählichen Veränderung, einer Metamorphose. Diese Musik kreiselt, statt sich auf ein Ziel hin zu entwickeln.

Und was die Tondichtung vorgab, was Sibelius dort anklingen lässt und teils schon ausführt – die 7. Sinfonie löst es ein. Nach Edvard Griegs brillant musizierten, aber zum übrigen Programm stilistisch nicht recht passenden „Norwegischen Tänzen“ entwickelten sich Musik und Interpretation mit Sibelius‘ letzter Sinfonie zum zweiten Höhepunkt an diesem Abend. Was an dieser Musik streng und verschlossen wirkt und stellenweise fast bedrohlich, ist Ergebnis äußerster Konzentration. Diese Komposition entwickelt sich nicht in die Breite, zielt auch nicht auf Klang-Höhepunkte. Aneinanderreihungen sind ihr fremd. Sie geht in die Tiefe, entwickelt in ihrer stetig sacht veränderten und dabei wiederkehrenden Thematik eine beklemmende Intensität.

Hochstenbach und die Philharmoniker nahmen diese Intensität auf. Immer wieder beschwor der Trierer GMD mit ausladenden Gesten die Wucht, die Gewalt in dieser Sinfonie. Als das Werk dann dunkel posaunenglänzend abschloss, da war es, als würde man als Besucher aus einer anderen Welt zurückkehren in die reale Gegenwart.

Orchester, Dirigent und auch das Publikum im voll besetzten Trierer Theater – sie strahlten nach diesem Kraftakt sichtlich Zufriedenheit aus. Aber es war noch mehr: Ein Glückgefühl, wie es sich nur einstellt nach einem ganz außerordentlichen Erlebnis.

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