Rezension Ein deutsches Jahrhundertleben

Wie kann man Frieden machen mit einem Leben, das es nicht immer gut mit einem gemeint hat? Die Erzählerin in Helga Schuberts Geschichten hat (wie die Autorin) in zwei Unrechtsstaaten gelebt, ist ohne Vater und mit einer kaltherzigen Mutter aufgewachsen – und trotzdem ist für sie am Ende „alles gut“.

 13.04.2021, ---: HANDOUT - Cover des Buches «Vom Aufstehen: Ein Leben in Geschichten» von Helga Schubert. Das Buch erscheint im dtv Verlag. (zu dpa: «Helga Schuberts «Vom Aufstehen»: Ein deutsches Jahrhundertleben») Foto: dtv Verlag/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit einer Berichterstattung zum Preis der Leipziger Buchmesse und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++

13.04.2021, ---: HANDOUT - Cover des Buches «Vom Aufstehen: Ein Leben in Geschichten» von Helga Schubert. Das Buch erscheint im dtv Verlag. (zu dpa: «Helga Schuberts «Vom Aufstehen»: Ein deutsches Jahrhundertleben») Foto: dtv Verlag/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit einer Berichterstattung zum Preis der Leipziger Buchmesse und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/dtv Verlag

In ihrem autobiografisch geprägten Erzählband „Vom Aufstehen“ wirft Schubert einen Blick auf dieses Leben zwischen Stasi-Überwachung, komplizierten Familienverhältnissen und Selbstbehauptung.

Im Mittelpunkt steht eine Erzählerin, die in kurzen Episoden von ihrer Kindheit erzählt, von ihrer Flucht mit der Mutter im Zweiten Weltkrieg, dem Vater, der mit 28 Jahren von einer Handgranate getötet wurde, vom Aufwachsen in der DDR. Schuberts Sprache ist dabei schlicht, an einer Stelle formuliert sie es selbst: „Nichts Eindeutiges, Belehrendes, Aufklärerisches. Vor allem ohne Pathos.“

Auch ums Schreiben geht es. Schubert, die in der DDR als Psychotherapeutin arbeitete, begann Mitte der 1970er Jahre, Texte zu publizieren. Manches davon erschien damals nur in Westdeutschland, von der Stasi wurde die gebürtige Berlinerin observiert. Einer Einladung zum Ingeborg-Bachmann-Preis durfte sie 1980 nicht folgen. 2020 folgte späte Gerechtigkeit: Schubert, heute 81 Jahre alt,  wurde nicht nur nominiert, sondern gewann als älteste je eingeladene Autorin.

Ihr dort prämierter Text „Vom Aufstehen“ ist nun im Erzählband enthalten und zeigt, was den Reiz dieser Erzählungen ausmacht. Es sind Episoden aus einem außergewöhnlichen Leben, von dem Schubert nicht mit Bedauern oder Anklage erzählt, sondern in einem ganz ruhigen Ton. Als schwebe sie über den Dingen, wäre eine distanzierte Beobachterin ihres eigenen Lebens.

Vielleicht braucht es diese Perspektive, um bestimmte Dinge zu verarbeiten. „Vom Aufstehen“ erzählt von der komplizierten Beziehung einer Tochter zu ihrer im Krieg hart gewordenen Mutter. Eine Frau, die ihre Tochter auf Distanz hält, sie schlägt und ihr, als die Tochter Talent zeigt, keinen Klavierunterricht mehr erlaubt.

Schubert erzählt von der Macht, die andere Menschen, aber auch ein politisches System über jemanden haben kann. Doch es gibt Auswege: Das Schreiben und auch der Rückzug in das mit der selbst gewählten Familie errichtete Idyll. Mit ihrem Mann wohnt Schubert in Neu Meteln nahe Schwerin, in der DDR eine bekannte Künstlerkolonie.

Immer wieder geht es auch um den dortigen Alltag. Als Leserin kann man die Behaglichkeit spüren. Oder vom Winter und dem Lauf über die zugefrorenen Acker-

furchen.

Mitunter werden die Schilderungen etwas behäbig. Doch vor dem Hintergrund von Schuberts Leben wird klar, warum diese Momente so eine große Bedeutung für die Erzählerin haben. Sie bilden den Kontrast zu einer Umwelt, die im Laufe von Jahrzehnten oft unzumutbar war.
Lisa Forster, dpa

Helga Schubert: Vom Aufstehen, Ein Leben in Geschichten, dtv Verlag 2021, 224 Seiten, 22 Euro.

(dpa)
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