Gastbeitrag von Michael Kernbach Zurück ins Nichts - Über die Zukunft der Kultur

Trier · Worin besteht der Wert der Kultur? Was meinen wir, wenn wir von Kultur reden? Unterhaltung, Freizeitbeschäftigung? Oder ein Stück Identität und wesentliche Stütze der Gesellschaft? Fragen, die die Pandemie hervorruft, denn durch die Krise steht ein Großteil der Branche auf dem Spiel. In einer Serie lässt der TV Kulturmacher aus der Region zu Wort kommen. Heute: Michael Kernbach.

  Michael    Kernbach,     Musiker   und     Kulturmanager.

Michael Kernbach, Musiker und Kulturmanager.

Foto: Michael Kernbach/unbekannt

Endlich! Langsam, nach zig Monaten des faktischen Berufsverbots, zeichnet sich auch für die Kultur die Rückkehr in ein Setting ab, das gerne als „Neue Normalität“ bezeichnet wird. Neu daran sind vor allem die vielen Auflagen für Veranstaltungen, die uns sicher noch eine ganze Weile begleiten müssen. Weniger neu dürften indes die Lebensumstände sein, in die zahlreiche Kreativschaffende als sogenannte „Soloselbstständige“ zurückkehren werden. In eine Wirklichkeit des prekären Gigworking, mit wenig bis keiner Chance auf Absicherung für Zeiten der Krisen oder Krankheit. Eines der vielen Probleme in unserem Land, das Corona unter dem sprichwörtlichen „Brennglas“ sichtbar gemacht hat.

Die jeder Krise innewohnende Chance aber, die bestehenden Verhältnisse zu prüfen und für die Zukunft nachhaltig und über Notförderprogramme hinaus zu verbessern, bleibt trotzdem wohl politisch ungenutzt. Dabei gäbe es viel zu tun. Gerade die Rahmenbedingungen für freischaffende Kreative benötigen – quod corona demonstrandum – einen strukturellen Neustart. So hatte zum Beispiel meine Berufsgruppe, die Pop-Musik, schon vor Corona durch das Streaming und den damit einhergehenden Verlusten aus Verkaufs- und Urheberrechtslizenzen mit tiefgreifenden Veränderungen zu kämpfen und fand sich bereits vor der Pandemie in einem neoliberalen Unterbietungswettbewerb um Gagen und Honorare wieder. Auch gegen Hobby-Akteure, die im Zweifel beim Stadtfest kostenfrei spielen und dabei ihre Sache nicht einmal schlecht machen müssen.

Der anstehende Neustart wird diese Entwicklung durch die gleichzeitige Freisetzung aller Kräfte auf dem Live-Markt vermutlich noch einmal verschärfen. Was es da eigentlich bräuchte, wären statt warmer Worte mal anständige Lobby- und Klientelarbeit von jemandem wie Frau Grütters. Für staatliche Leitplanken, die professionelle Arbeit in der Kultur nachhaltig stärken und ermöglichen. Die Betonung liegt dabei auf: Profession. Also hauptberuflicher, unterhaltssichernder Arbeit im Kultur- und Kreativsektor. Sozialversicherungs- und steuerpflichtig. Nur um nicht eine Idee schuldig zu bleben: Wie wäre es mit einem System, das Veranstalter:Innen zu einer Lizenz und zur Zahlung von Mindesthonoraren verpflichtet? Professionelle Künstler:Innen und Kreative wiederum müssten eine Mindestzahl von Engagements nachweisen. Nicht aus dem Stand, sondern in einem vereinbarten Entwicklungszeitraum. In Jahren, die schwächer laufen, hilft dann der Staat. Nur eine von zahlreichen Ideen, die besser wären, als zum Status Quo 2019 zurückzukehren.

Es wäre auch ein Paradigmenwechsel in eine Politik, die dann mehr die Kunstschaffenden statt der institutionellen Spielstätten im Auge hat, wie es bei uns in Deutschland oft der Fall ist. Weil wir die Definition, was Kunst ist, zu oft den Verwaltungen überlassen haben, sind dort betonierte Strukturen entstanden, die die eigentlich nicht unerheblichen Mittel, die die Gesellschaft für Kultur schon heute bereitstellt, einfach in sich aufsaugen. Während also „freie“ Künstler:Innen in vielen Fällen Gigworker in prekären Lebensverhältnissen sind und wohl auch bleiben, genießen die Spielstätten besonderen Schutz. Wäre  auch hier nicht mal ein Umdenken angebracht? Wenn schon kulturelle Infrastruktur stärken, dann bitteschön auch für die Kreativen, für die neuen Mozarts, Brechts und Warhols. Wie wäre es zum Beispiel mit Co-Working-Spaces mit moderner, technischer Ausstattung als Platz für digitale, kulturelle Zusammenarbeit? Mit der Kommune oder dem Land als Riskio-Investor und Shareholder? Und im Gegenzug, zur solidarischen Finanzierung, einer Verschlankung im tradierten öffentlichen Kulturangebot?

„Wir sitzen alle in einem Boot“ lautet da der reflexartige Zwischenruf der Subventionsnehmer, gleichsam wie vom Sonnendeck, wenn es im Maschinenraum zu rumoren beginnt. Dabei geht es nicht darum, die Kulturschaffenden auseinanderzudividieren oder der sogenannten „Hoch-Kultur“ etwas wegzunehmen, sondern darum, breiter, nachhaltiger und gerechter zu verteilen. Professionalisierung der Marktteilnehmer:Innen und Wirtschaftlichkeit der Infrastruktur sollten wichtige Parameter auch für kulturelle Investitionen der öffentlichen Hand sein (und sei es nur, um hier experimentelle Kunst aus eigener Kraft heraus zu ermöglichen) und lebendige Kulturarbeit ein ebenso primäres Ziel wie der Erhalt „musealer“ Bewahrungssstrukturen. Der Standpunkt „Es geht nicht“ endet am Ende immer dort, wo dann am Ende nichts mehr geht. Im Nichts.

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