Falsch behandelte Patienten brauchen viel Geduld

Trier · Oft dauert es Jahre, bis Gerichte über Arztfehler geurteilt haben. Eine Krankenkasse fordert Medizinexperten als Richter.

Ärzte gingen offen mit Fehlern um, sagt Günther Matheis. Jeder Mediziner, sagt der Präsident der Landesärztekammer, müsse konsequent versuchen, "aus vermeidbaren Fehlern und vor allem aus Beinahe-Fehlern zu lernen." Dazu gehöre auch, dass Fehler und Beinahe-Fehler nicht verschwiegen würden, "sondern dass darüber gesprochen wird."

Doch oft stünden die Ärzte und Kliniken nicht zu ihren Fehlern, sagt Christian Soltau. Er ist Medizinrechtsexperte bei der Techniker Krankenkasse (TK). Nicht selten seien einfache Kommunikationsprobleme in der täglichen Arbeit die Ursache. "Wenn zum Beispiel die Schrift des Arztes vom medizinischen Personal nicht richtig entziffert wird und deshalb der Patient ein falsches Medikament verabreicht bekommt."

Doch Patienten müssen nachweisen, dass sie falsch behandelt worden sind, dass, "Ärzte oder Pfleger bei ihnen schuldhaft gegen die anerkannten Regeln von Wissenschaft und ärztlicher Praxis verstoßen haben". Patienten, die Behandlungsfehler bei sich vermuten, sollten zunächst den Arzt darauf ansprechen. Soltau rät, umgehend ein Gedächtnisprotokoll des Behandlungsablaufs und der involvierten Ärzte und Pfleger zu erstellen. "Die Erfolgschancen sind umso besser, je genauer die Krankheitsgeschichte dokumentiert worden ist." Dann können sie sich an ihre Krankenversicherung wenden.

Oder an die Ärztekammer. Dort gibt es eine Schlichtungsstelle, die bei Verdacht auf Behandlungsfehler die Angaben prüft. "Der Schlichtungsausschuss nimmt jeden eingehenden Antrag von Patienten sehr ernst", sagt Matheis. Der Ausschuss ist besetzt mit einem Juristen, zwei Fachärzten und zwei Patientenvertretern. Das Verfahren sei für die Patienten kostenfrei, so Matheis.

Insgesamt 496 Patienten haben sich im vergangenen Jahr an den Schlichtungsausschuss der Ärztekammer gewandt, genauso viele wie im Jahr zuvor. Jedoch nur bei rund 26 Prozent - insgesamt 97 Fälle - habe der Ausschuss einen Behandlungsfehler bejaht. Setzte man die Zahlen der tatsächlichen Behandlungsfehler in Verhältnis zur Zahl aller landesweit erfassten Behandlungsfälle - laut TK wurden 2015 rund 942 000 Patienten in rheinland-pfälzischen Krankenhäusern behandelt - liege der Fehlerquotient im Promillebe-reich, sagt Kammerchef Matheis.

Doch selbst wenn ein Behandlungsfehler anerkannt wird, heißt das nicht automatisch, dass der Patient Schadenersatz bekommt. Oft beantrage die Versicherung des betroffenen Arztes ein zweites Gutachten, weiß Medinzinrechtsexperte Soltau. "Liegen zwei gegenteilige Gutachten vor, steht Aussage gegen Aussage. Also geht der Fall vor Gericht. An diesem Punkt ist es nicht selten, dass ein drittes, ein Gerichtsgutachten erstellt wird. So gehen häufig die Jahre ins Land, ohne dass der Fall aufgeklärt werden kann." Der Grund dafür sieht Soltau in den enorm hohen Schadenszahlungen, die fällig werden könnten, wenn ein gravierender Behandlungsfehler nachgewiesen wird.
"Nehmen wir zum Beispiel den Fall, dass ein Kind durch Komplikationen bei der Geburt geistig behindert zur Welt kommt: In so einem Fall reden wir über Summen in Millionenhöhe." Die Versicherung des Arztes oder der betroffenen Klinik wolle den Schaden möglichst gering halten und setze alles dran, um die eigene Haftung infrage zu stellen.
Nicht selten vergingen fünf bis zehn Jahre, bis zu einem Urteil, sagt TK-Landeschef Jörn Simon. In einigen Fällen könnten die Betroffenen nicht mehr arbeiten, seien in ihrer finanziellen Existenz bedroht und müssten dennoch jahrelang um einen Schadenersatz bangen. Das Problem liege bei den Gerichten, die zu wenig Richter mit medizinischen Fachkenntnissen hätten. "Die Politik muss dringend mehr Spezialkammern für arzthaftungsrechtliche Fragen an den Landgerichten schaffen. Die Materie ist so komplex, dass Generalisten sich nur schwer einarbeiten können", sagt Simon. Gleichzeitig müsse der Gesetzgeber verhindern, dass Haftpflichtversicherungen weiterhin auf Zeit spielen und die betroffenen Patienten teilweise aus reiner Finanznot zu falschen Kompromissen zwingen würden, fordert der TK-Landeschef.

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