Theater Das dünne Eis der Zivilisation

Trier · Im ausverkauften Kasino Trier präsentieren Joya Ghosh und Freunde das bitterböse und urkomische Stück „Der Gott des Gemetzels“.

 Zwei Paare im Bistro, die gnadenlos ihr Inneres entblößen, gespielt von Jan Philip Keller, Julia Prochnow, Manuel Klein, Joya Ghosh (von links). An der Theke: Ilka Becirevic.

Zwei Paare im Bistro, die gnadenlos ihr Inneres entblößen, gespielt von Jan Philip Keller, Julia Prochnow, Manuel Klein, Joya Ghosh (von links). An der Theke: Ilka Becirevic.

Foto: TV/Michael Thielen

Dezentes Licht im Kasino am Kornmarkt. Gedämpftes Gemurmel im Saal. Hereingestürmt kommt ein Mann, hängt für alle sichtbar seine Jacke an einen Kleiderhaken und setzt sich zu drei Leuten an einen Tisch im Publikum. Es wird schnell klar: Die Szene gehört zum Stück, das in einem Bistro spielt, und die Zuschauer sind schon mittendrin in einem sich schnell erhitzenden Gespräch der beiden Paare Frank und Anette sowie Juliane und Michael.

Deren Kinder sind in Streit geraten, Ben hat Frida einen Zahn ausgeschlagen und man will als gesittete Mitteleuropäer eine friedliche Lösung des Konflikts herbeiführen. Doch die gutbürgerlich beschauliche Atmosphäre und der geheuchelte zivilisierte Umgang miteinander lösen sich bald auf. Unterdrückter Lebensfrust und Aggressionen kommen lautstark zum Vorschein.

Das Image der kultivierten und emanzipierten Schriftstellerin Juliane (überzeugend: Julia Prochnow) fällt bald in sich zusammen. Ihr Ehemann Michael, Großhändler für Sanitäranlagen, glaubwürdig gespielt von Jan Philip Keller, ist ein eher schlichter, dem Alkohol nicht abgeneigter Kleinbürger. Joya Ghosh als zunehmend alkoholisierte Annette zeigt überdeutlich den Verfall zivilisatorischen Verhaltens, symbolisiert durch ihre Kotzorgie auf Julianes Kunstbücher. Frank ist als Pharmavertreter Inbegriff einer Industrie, der Profit über alles geht. Diesen Zyniker spielt Manuel Klein authentisch. Er ruft, angesichts der Machenschaften der Gesundheitsindustrie, „den Gott des Gemetzels“ aus, den Kampf aller gegen alle, jeder gegen jeden.

Yasmin Reza hält mit diesem oft aufgeführten Stück von 2006 der Gesellschaft einen Spiegel vor. Sarah Schilasky (Regie) und Joya Ghosh zeigen mit ihrer Inszenierung, dass „unter dem Deckmantel der Zivilisation noch die Urtriebe schlummern, die uns alle zerstören können“. Popsongs, die von den zwei Paaren vorgetragen werden, sollen als Lichtblicke in dieser beklemmenden Gesellschaftssatire dienen, als Wunschträume nach Harmonie und Liebe. Sie werden jedoch von einer erbarmungslosen Wirklichkeit wieder zerstört.

Gewürzt wird die düstere Tragödie mit witzigen Szenen voll aufgedrehter Situationskomik, bei denen das Publikum Szenenbeifall spendet, immer dann, wenn das Verhalten der Personen ins Lächerliche und Groteske kippt oder man sich selbst in den Figuren wiedererkennt. Da wird gebechert, geschrien und gekotzt, herumgestolpert und gelallt. Tragödie und Komödie liegen oft nahe beieinander. 

Die Termine der Aufführung: Joya Ghosh and Friends präsentieren Yasmin Rezas „Der Gott des Gemetzels“ im Kasino Kornmarkt. Sonntag, 27. Oktober; Donnerstag, 7.; Sonntag, 10. November, jeweils 18 Uhr. Tickets gibt es unter der TV-Tickethotline 0651/7199-996.

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