Katholische Kirche Alles aufarbeiten! Jetzt! Schonungslos!

Zur Berichterstattung über die  Missbrauchsstudie der katholischen Kirche schreibt Franz Lüttgen:

Die Sieben-Punkte-Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz scheint der kleinste gemeinsame Nenner eines Kompromiss­textes zu sein.

Der erste Punkt lautet: „Wir werden mehr als bisher die Begegnung mit den Betroffenen suchen.“ Von konkreten Schritten, wie den Opfern sexueller Gewaltanwendung, die teilweise für ihr ganzes Leben benachteiligt sind, geholfen werden soll, kein Wort; die mickrigen finanziellen Überweisungen von wenigen Tausend Euro helfen da kaum weiter.

Der zweite Punkt, die Führung der Personalakten, zeigt an, dass, wie es auch in der Studie zum Ausdruck kommt, bisher der jeweilige Bischof entscheiden konnte, welche Akten vernichtet werden konnten; ob alle aussagefähigen Akten anonymisiert an die Wissenschaftler weitergegeben worden sind, ist eine offene Frage.

Der dritte Punkt, die Anstellung von unabhängigen Ansprechpartnern in jeder Diözese, ist eine dringende Notwendigkeit. Vor acht Jahren habe ich Folgendes erlebt: Dem vom Bistum eingesetzten Ansprechpartner habe ich davon berichtet, dass Schüler eines Konvikts des Bistums Trier in den 1960er Jahren in diesem Zusammenhang einen Priester mit Namen nannten. Der Ansprechpartner entgegnete sinngemäß: „Diesen Priester kenne ich; für ihn lege ich die Hand ins Feuer.“ Mein Wunsch, diesem Hinweis vonseiten des Bistums nachzugehen, war damit erledigt.

Der vierte Punkt, die Prävention zu verstärken, kann nur begrüßt werden.

Der fünfte Punkt, die „Fort­entwicklung“ des Verfahrens „zu Leistungen in Anerkennung zugefügten Leids“, zeigt zumindest an, dass die Bischöfe gemerkt haben, dass die bisherigen Leistungen dem Ausmaß der Verbrechen nicht gerecht geworden sind.

Zwei entscheidende Sätze stehen in Punkt sechs. Erstens: „Ohne eine unabhängige Aufarbeitung gibt es keine wirksame Veränderung und Gerechtigkeit.“ Dieser Satz ist das Eingeständnis der Bischöfe, dass sie alleine der Problematik des Missbrauchs nicht Herr werden können. Zugleich wird damit zugegeben, dass der Artikel 140 des Grundgesetzes, die Kirchen „verwalten ihre Angelegenheiten selbständig“, in diesem Punkt nicht einzuhalten ist. Hier taucht erstmalig der Begriff „Aufarbeitung“ auf, zu der die Studie nur ein Vorspiel sein sollte. Von einem klaren Konzept zur Aufarbeitung sind die sieben Punkte aber meilenweit entfernt. Der zweite Satz lautet: „Wir wollen klären, wer über die Täter hinaus institutionell Verantwortung für das Missbrauchsgeschehen in unserer Kirche getragen hat.“ Hier hat die Studie den Finger auf die Wunde gelegt. Die „Institution“ der katholischen Kirche muss also auf den Prüfstand. Die Studie hat von „Klerikalismus“ als „hierarchisch-autoritärem System“ gesprochen und ihn als Konglomerat von verschiedenen, sich gegenseitig verstärkenden Elementen charakterisiert: Pflichtzölibat, Missbrauch der priesterlichen Machtstellung, Missbrauch der Beichte, Sexualmoral der Kirche.

Die Frage nach den Tätern und ihrer Bestrafung sowie derjenigen Personen, die über Jahrzehnte hin die Verbrechen vertuscht haben, stellt sich in aller Schärfe; sonst ist eine „institutionelle“ Aufarbeitung nicht möglich. Hier darf auch vor höchsten Amtsträgern nicht Halt gemacht werden. Es ist notwendig, dass jeder durch die Studie nachgewiesene Teilaspekt des „Klerikalismus“ grundsätzlich und konkret geändert wird, denn die „Institution“ Kirche verbleibt sonst in einer Sackgasse.

Der siebte Punkt, „transparent“ über Zölibat und Sexualmoral  mit „Fachleuten“ diskutieren zu wollen, sieht aus wie eine Vertröstung auf den St. Nimmerleinstag. Die Aufarbeitung verdient aber keinen Aufschub.

Franz Lüttgen, Welschbillig

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