Soziales Das Gefühl der Ungerechtigkeit wächst

Zum Artikel „2021 soll ,Jahr des Aufschwungs’ werden“ und zum Interview „,Steuererhöhungen wären das schlimmste Gift’“ (TV vom 15. Januar) schreibt Ernst Geilenkirchen:

Der Kampf gegen die Corona-Krise riss erstmals seit acht Jahren ein tiefes Loch in die Staatskasse, ist zu lesen: „Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen nahmen zusammen 158,2 Milliarden weniger ein als sie ausgaben.“ Dieses Loch muss nach der Krise gestopft werden. Aber von wem? Der Vorsitzende der Vereinigung Trierer Unternehmer (VTU) macht klar, wie die Folgen bewältigt werden sollten. Pauschal fordert Frank Natus, die Unternehmen nach der Pandemie steuerlich zu entlasten, um neue Investitionsanreize zu schaffen. So berechtigt diese Forderung in vielen Fällen ist, so gilt aber auch, dass viele Unternehmen durch die Krise erhebliche Gewinne erzielt haben. Wäre der Neustart nicht eine Chance, für mehr Gerechtigkeit im Steueraufkommen zu sorgen? Was wäre so verwerflich daran, die Gewinner stärker in die Pflicht zu nehmen?

Eine Reichensteuer für sehr hohe Einkommen, wie von SPD, Grünen und Linken gefordert, darf nicht einfach als ideologisch begründet abgetan werden. Sie hätte eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Den „Normalbürgern“ würde sie das Gefühl von mehr Gerechtigkeit geben, und damit erreichte man auch mehr Zufriedenheit mit dem demokratischen System. Den Gegnern der Demokratie, den Populisten und der AfD, würde Wind aus den Segeln genommen. Wenn aus der Corona-Pandemie aber die Armen noch ärmer und die Reichen noch reicher herausgehen, wenn die Interessen von armen Menschen und der unteren Mittelschicht in der Regierungspolitik nicht ausreichend berücksichtigt werden, dann ist das eine große Gefahr für unsere Demokratie.

Die Vermögensungleichheit ist in Deutschland auch im internationalen Vergleich sehr hoch und sollte endllich zum Thema der politischen Debatte werden. Die Blockade einer Vermögensteuer und einer angemessenen Erbschaftsteuer durch die CDU sind einseitig an den Interessen der Wohlhabenden orientiert und ein Armutszeugnis für einen Staat, der sich als demokratisch bezeichnet. Nicht immer, aber immer öfter sind Erbschaften und Schenkungen der Grund für Reichtum in Deutschland. Das ist ungerecht, denn es ist anstrengungslos erworbenes Kapital. Von Erbschaften und Schenkungen nimmt sich der Staat im Schnitt nur zwei Prozent. Erwerbseinkommen werden hingegen durch Steuern und Sozialbeiträge oft glatt halbiert. Schon ein moderater Anstieg der Steuerbelastung für Erben von Finanzvermögen auf fünf Prozent könnte eine erhebliche Entlastung für Erwerbstätige bedeuten. Die Fabrik oder das Eigenheim der Erblasser müssten dadurch nicht veräußert werden. Die Vermögensteuer, das zweite Instrument für eine gewünschte Umverteilung, ist die Anwendung eines Kernsatzes unseres Grundgesetzes, Art. 14 (2): „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Reichtum, der vom Staat und seiner Rechtsordnung profitiert, aber nur wenig dafür zahlen will, ist amoralisch.

Unser Staat darf das Ungerechtigkeitsgefühl eines Großteils seiner Bevölkerung nicht ignorieren, wenn er das Erstarken populistischer Bewegungen und damit das Wegbrechen der Fundamente der Demokratie verhindern will.

Ernst Geilenkirchen, Kelberg

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