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„Stück Scheiße“, „Drecksau“, „Geisteskranke“: Die Politikerin Renate Künast ist auf Facebook wüst beschimpft worden. Ein Gericht in Berlin urteilt, sie müsse dies hinnehmen – ein fatales Signal.

 Peter Reinhart

Peter Reinhart

Foto: TV/Klaus Kimmling

Also gut. Ein anonymer Pöbelant meldet sich, wieder mal. Einer von diesen kaputten Typen, die ihre Wut, ihren Hass auf die Welt und die Politik und die Medien therapieren, indem sie wüste Beschimpfungen absondern. Hähä, frohlockt er diesmal, und ledert los: „Stück Scheiße“, hähä, „Drecksau“, hähä, „Geisteskranke“, hähä …

Der kaputte Typ kennt anscheinend das Skandalurteil des Berliner Landgerichts, gar nicht dumm, und macht einen auf Meinungsfreiheit.

Rückblende: Vor einer Woche hat die 27. Zivilkammer des Gerichts – eines der größten in Deutschland – höchst eigenwillig definiert, was man sagen darf und was nicht. Vorsicht, jetzt wird’s eklig: „Drecksfotze“, „hohle Nuss“, „Sondermüll“, „die Fresse polieren“, „Drecksau“, „Stück Scheiße“, „Schlampe“, „Geisteskranke“, „Knatter sie doch mal richtig durch, bis sie wieder normal wird!“

Beleidigungen? Verleumdungen? Nein, sagen die Richter, zulässige Meinungsäußerungen, sachliche Kritik, wenn auch haarscharf an der Grenzen des Hinnehmbaren (Aktenzeichen 27 AR 17/19). Wie bitte?!

Die Vorgeschichte beginnt mit einem Zwischenruf von Renate Künast bei einer Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus vor 33 Jahren; danach wird der Grünen-Politikerin unterstellt, sie unterstütze die Forderung, Sex mit Kindern nicht zu bestrafen (O-Ton: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist“). Sie distanziert sich davon, widerspricht mehrmals. Vergeblich. Ein Autor der Zeitung Die Welt befasst sich 2015 mit den alten Vorwürfen. Die Folge: krasse Hass-Posts in Künasts Facebook-Account. Sie klagt – und verliert. Begründung der Richter: Die Kommentare seien sämtlich Reaktionen auf den Zwischenruf, es handele sich um Kritik in der Sache, nicht um Schmähungen der Person. Künast will das nicht auf sich beruhen lassen.

Meine Meinung: Der Richterspruch ist ein fatales Signal. Er bestärkt die ­anonymen Pöbelanten, die aggressiven Polarisierer. Sprache ist eine Waffe. Sprache ist Macht. Sprache bestimmt das Bewusstsein. Sprache beeinflusst das Denken. Aus dem Bewusstsein, aus dem Denken, entstehen Taten. Der Hass, der aus den (a)sozialen Netzwerken trieft, vergiftet die Gesellschaft. Dies ist ein freies Land, in dem jeder seine Meinung sagen darf – ein Grundpfeiler der Demokratie, nicht verhandelbar. Es geht nicht um das Was, es geht um das Wie, um Respekt, um Menschlichkeit, um Anstand. Nein, Hass ist keine akzeptable Haltung. Niemals.

P.S.: Mit Leserbriefen im Volksfreund halten wir es so: Jede Kritik, jede Meinung ist erlaubt, es gibt keine Tabus – aber wir achten darauf, dass sich niemand im Ton vergreift.

Herzliche Grüße!

Peter Reinhart

Stellvertretender Chefredakteur

E-Mail: forum@volksfreund.de

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