Gesundheit Einer für alle, alle für einen

Zur Berichterstattung über die Europäische Union in der Corona-Krise, insbesondere zur Diskussion um Finanzhilfen, schreiben Hans-Werner Thesen und Adolf Krohn:

In diesen Tagen lesen und hören wir auf allen Kanälen und aus allen Printmedien, wie wichtig die gesellschaftliche Solidarität ist, um diese Krise zu bewältigen. Insbesondere unsere politischen Vertreter äußern sich unablässig und fordern Solidarität ein. Aber was bedeutet das ganz konkret auf Deutschland bezogen? Was die Solidarität der Deutschen angeht, so sehen wir eine große Hilfsbereitschaft mit Tausenden Initiativen, um den Schwächsten zu helfen. Aber manchen Teilen der Bevölkerung wird viel mehr abverlangt als anderen.

Der Shutdown der Betriebe wirft viele Menschen in existenzielle Probleme. Arbeitgeber werden bei einem längeren Shutdown in die Insolvenz getrieben. Die Angestellten müssen in der Kurzarbeit mit 60 Prozent ihres Gehaltes auskommen. Das wird auch zu Privatinsolvenzen führen. Diese Solidarität ist nicht freiwillig, sondern staatlich verordnet. Andere Teile der Bevölkerung wie Beamte, Angestellte im öffentlichen Dienst, Rentner, Pensionäre und Abgeordnete sind hingegen finanziell nicht gefordert. Das wird bei längerem Andauern der Krise sicher zu gesellschaftlichen Unruhen führen. Hier ist die Politik gefragt, einen entsprechenden Ausgleich zu schaffen.

Ganz traurig ist es, wenn ich mir die Solidarität innerhalb der Europäischen Union anschaue. Der von den Südstaaten geforderte Corona-Bonds wird von Deutschland und anderen Ländern im Norden abgelehnt. Jetzt, wo wir in einer wirklich ernsten Krise stecken, verweigern wir aus ideologischen Gründen diese Art der finanziellen Solidarität. Da hilft es auch nicht, wenn wir mal zehn Corona-Patienten aus Italien oder aus Frankreich in deutschen Kliniken behandeln. Ich frage mich, was von der EU übrig bleiben wird, wenn die Krise mal vorbei ist. Dieses Verhalten von Deutschland und anderen Staaten fügt dem europäischen Gedanken irreparablen Schaden zu. Großbritannien ist schon verloren. Wer kommt als Nächstes?

Wenn wir zurückschauen, so sehen wir, was Deutschland nach dem Krieg an internationaler Solidarität erfahren hat. Die Berliner Luftbrücke, initiiert von den Amerikanern, hat ein Jahr lang zwei Millionen Menschen versorgt. Das waren gewaltige Kosten. Über einhundert Millionen Care-Pakete wurden nach Deutschland verschickt. Nicht zuletzt hat der Marshallplan Deutschland in den Jahren von 1948 bis 1952 eine Wirtschaftshilfe von umgerechnet mehr als fünf Milliarden Mark gebracht. Wenn ich sehe, wie Deutschland sich jetzt gegenüber seinen europäischen Nachbarn verhält, erfüllt mich das mit Scham und Traurigkeit.

Hans-Werner Thesen, Kenn

Mit Sorgen beobachte ich, dass Kommentatoren im Volksfreund, aber auch die Mitarbeiter in den öffentlich-rechtlichen Medien offensichtlich nicht erkennen, welche Risiken in Euro-Bonds beziehungsweise Corona-Bonds (aus Marketinggründen umgetauft, neuer Begriff für dasselbe Finanzinstrument) stecken. Ein Glücksfall, dass viele amtierende Finanzminister besser ausgebildet sind und die Risiken der Gesamtschuldnerhaftung schon vor über zehn Jahren erkannt und verhindert haben. Euro-Bonds sind nur deshalb so zinsgünstig, weil damit eine Gesamtschuldnerhaftung aller 27 EU-Mitglieder einhergeht. In Kurzform die Funktion der Gesamtschuldnerhaftung: Einer haftet für alle, alle für einen.

Ein Gläubiger, der zum Beispiel drei Billionen Euro über Euro-Bonds an die Schuldner Italien, Spanien oder Frankreich verleiht, wird sich bei Rückzahlungsverzögerungen nicht an diese drei Länder wenden, sondern gegen die besser finanzierten Länder wie Polen, die drei baltischen Länder, Finnland, Niederlande oder Deutschland die Vollstreckungsmaßnahmen einleiten.
Wenn die schon vor Corona hochverschuldeten Länder wie Italien, Spanien, Frankreich sich über Euro-Bonds refinanzieren können, liegen die zu zahlenden Zinsen vermutlich nicht über 0,5 Prozent gegenüber drei bis fünf Prozent bei einer eigenen Kreditaufnahme ohne Euro-Bonds, sofern internationale Gläubiger überhaupt Darlehen gewähren. Für Schuldner, die in den letzten 20 Jahren nicht verantwortungsvoll gewirtschaftet haben, sind geringe Zinsen natürlich erstrebenswert. Dies insbesondere dann, wenn andere Länder über die damit verbundene Gesamt­schuldnerhaftung für die Rückzahlung der aufgenommenen Darlehen haften.

Um die Dimensionen deutlich zu machen: Italien hat schon ohne Corona einen Schuldenstand von circa 2,3 Billionen Euro (Stand am 31. Dezember 2019) aufgebaut. In Spanien sind es circa 1,2 Billionen Euro und in Frankreich circa 2,4 Billionen Euro. Zusammen: 5,9 Billionen Euro, mit einem Schuldenanstieg bis 2024 auf geschätzt 6,5 Billionen Euro, schon ohne Corona. Je nach Dauer der Pandemie mit sinkenden Steuereinnahmen und stark erhöhten Ausgaben werden die Schulden in diesen drei Ländern Ende dieses Jahres wahrscheinlich bei 9,5 bis 10 Billionen Euro liegen.

Diese gigantische Summe oder auch nur die zusätzlichen Schulden von circa vier Billionen Euro ließen sich über Euro-Bonds wegen der Gesamtschuldnerhaftung der 27 EU-Mitglieder am Weltfinanzmarkt finanzieren.

Die alternative Finanzierung über andere schon zugunsten von Griechenland genutzte Finanzierungsinstrumente wie die ESM-Gelder, die sofortige Hilfen ermöglichen, möchten die bisher schlecht wirtschaftenden Länder nicht, weil die Auszahlungen mit Auflagen verbunden sind. Der Schlendrian mit öffentlichen Geldern ist dann, wie historisch von Griechenland über Jahrzehnte vorgeführt, vorbei. Auch für ESM-Gelder haften alle EU-Mitglieder, aber eben nicht als Gesamtschuldner, sondern anteilig, Deutschland zum Beispiel mit circa 27 Prozent etwa bei einem Staatsbankrott, der in Italien durch die hohen Schulden schon länger droht und durch die Corona-Folgen eher wahrscheinlicher geworden ist.

Die Bewältigung der Corona-Folgen wird eine gewaltige Aufgabe der gesamten EU sein. Corana-Bonds würden nur die Schuldenpolitik der schon in den letzten 20 Jahren schlecht wirtschaftenden Länder fördern und die damit verbundene Gesamt­schuldnerhaftung einzelne Länder und im Ergebnis die EU und wohl auch den Euro gefährden, sehr wahrscheinlich sogar zerstören. Schon ohne diesen Irrweg über Euro- oder Corona-Bonds wird die Rettung der EU und die gemeinsame Währung eine gewaltige Aufgabe sein.

Adolf Krohn, Waxweiler

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