Gesundheit Mehr Experten als Infizierte ...

Zur Berichterstattung über die Corona-Krise schreiben Claudia Lamberti, Johanna Warscheid, Jean-Luc Montamat, Dr. Hans-Werner Weisskircher und Guido Semrau:

Endlich wieder Fußball! Wenn in Kürze wieder Fußballspiele als sogenannte „Geisterspiele“ stattfinden und jeder einzelne Fußballer vor Spielbeginn auf Covid-19 getestet werden soll, dann frage ich mich, woher kommt plötzlich diese Vielzahl an Testkapazitäten, die anderen Einrichtungen fehlt?

Seit Beginn der Corona-Pandemie fehlen Tests in nahezu allen Bereichen der Öffentlichkeit, insbesondere in Krankenhäusern und Altenheimen.

Als Mitarbeiterin einer sogenannten systemrelevanten Berufsgruppe – ich bin Krankenschwester – bin ich bislang noch kein einziges Mal auf Covid-19 getestet worden, ebenso wenig meine Kolleginnen und Kollegen.

Zum einen ist es offensichtlich wichtiger, dem Corona-gebeutelten Fußball wieder auf die Sprünge zu helfen, als diejenigen zu schützen, die – vielzitiert von den Medien – „an vorderster Front“ stehen, um das System zu erhalten.

Zum anderen hört man doch von den Fußballvereinen immer wieder diese ergreifenden Sprüche, in denen das Wort „Fairness“ eine zentrale Rolle spielt.

Ist es fair, offensichtlich ausreichend vorhandene Testkapazitäten für Fußballspieler zu nutzen, anstatt diese den oben Genannten und vielen weiteren Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, deren Bedarf nicht ausreichend gedeckt ist?

Mit diesem Absurdum verliert das Schlagwort „Gemeinsam gegen Corona“ seine Glaubwürdigkeit.

Claudia Lamberti, Trier

Seit Wochen wird uns verordnet, voneinander Abstand zu halten. Das schien am Anfang zu greifen. Aber für mich als Rollstuhlfahrerin scheint es bis heute kaum zu gelten. Ich muss feststellen, dass Fußgänger mich nicht mehr als Menschen wahrnehmen. Sei es auf der Straße oder beim Einkauf.

Allein das ständige Benutzen eines Handys macht viele Fußgänger unaufmerksam und führt bei mir oft zu Beinahe-Zusammenstößen. In diesen Situationen kann ich nur stehen bleiben. Und das muss ich sehr oft.

Ich werde, im Rollstuhl sitzend, immer wieder angerempelt – da kann doch kein Abstand eingehalten worden sein! Ich wünsche mir etwas mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Menschen sind doch wohl mehr wert als Handys!

Johanna Warscheid, Trier

Als Franzose, der in Deutschland lebt, vergleiche ich in der Presse und bei Freunden die sehr unterschiedlichen Haltungen in der Corona-Pandemie.

In der „normalen“ Situation habe ich die Vorteile des Wahlsystems in Frankreich gesehen. Durch zwei Wahlgänge gibt es nur einen Sieger. Aber im ersten Wahlgang hat er nur circa 30 Prozent der Stimmen bekommen! Eine einzige Partei ist an der Macht und kann klare Entscheidungen treffen.

Dagegen gibt es in Deutschland nur einen Wahlgang. Die Regierung wird (meist) als Koalition gebildet. Es gibt hier und dort immer mehr Parteien, dadurch können die möglichen Koalitionen bis zu drei und vier Parteien enthalten. Dann ist die resultierende Vereinbarung der kleine gemeinsame Nenner. Daher ist die Regierung umso schwächer, umso mehr Parteien Mitglieder sind. Also in der normalen politischen Situation ist das französische System klarer!

Aber! In einer dramatischen Situation wie jetzt mit der Corona-Pandemie haben der französische Präsident und die Regierung nur 30 bis 40 Prozent Unterstützer in der Bevölkerung; dagegen stehen in Deutschland mindestens 55 bis 65 Prozent der Bevölkerung hinter der Regierung. Es ist dadurch einfacher, klare und harte Entscheidungen zu treffen und in Kraft zu setzen. Emmanuel Macron und seine Regierung können zwar Entscheidungen treffen, aber die Bevölkerung ist leider nicht dafür und hält sich nicht daran!

Jean-Luc Montamat, Gusterath

„Breaking News! Endlich hat die Zahl der Corona-Experten die Zahl der Infizierten überschritten“, hieß es in einer nicht ganz ernst gemeinten WhatsApp-Nachricht. Dieser Satz kam mir wenige Tage später wieder in den Sinn, als ich las, dass der Trier-Saarburger Landrat Günther Schartz den Mundschutz befürwortet. „Ich freue mich, dass Ministerpräsidentin Malu Dreyer unserer Forderung gefolgt ist, die Maskenpflicht einzuführen“, so der Landrat im Amtsblatt. Auf welcher Basis, bezüglich welcher Evidenz steht diese Forderung acht Wochen nach Ausbruch der Epidemie zu einem Zeitpunkt, wo abnehmende Infektionszahlen auf einem niedrigen Stand sind? Wer ist „uns“? Parteifreunde? Experten aus dem medizinischen Bereich? Scheinbar stehen viele Amtsträger unter Druck und müssen irgendwie Kompetenz in Sachen Corona zeigen.

Doch wer hat die? All die sehr einschneidenden Maßnahmen bezüglich Grundrechten und Infektionsschutz mit den noch nicht absehbaren körperlichen wie psychischen und auch gesellschaftlichen Folgen anzuordnen setzt Kompetenz oder kompetente Berater voraus, und öffentliche Personen ohne diese sollten mit ihrer Wortwahl bei Empfehlungen in der Presse bezüglich solcher Themen vorsichtig sein.

Jedoch, Kompetenz und Expertise sind nicht notwendigerweise ein objektives Kriterium. Beide sind immer mit subjektiven Erfahrungen in einem speziellen Sachgebiet verbunden, und selbst erhobene Daten verändern je nach Zielsetzung des Experten dessen Wahrnehmung. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn Virologen und Epidemiologen mit hoher Kompetenz, welche die politischen Entscheidungsträger gerne als Corona-Experten um sich versammeln, untereinander nicht einig sind.

Zu diesem Dilemma kommt hinzu, dass Experten, die in Sachen Corona nicht regierungskonform handeln oder regierungskonforme Daten liefern, erst gar nicht zu Wort kommen. Seien es Experten, die den Lockdown nicht befürworten, seien es Experten, die scheinbar Gen-Manipulationen am Virus entdeckt haben. Auch von all den Medizinern, die tagtäglich an der viralen Front stehen, hört man hierzulande wenig. Auf deren Expertise verzichtet man in der Öffentlichkeit. Und damit meine ich nicht diejenigen, die jetzt in den Bettenstation Corona-Infizierte beatmen.

Ich bin mal gespannt, wenn dieser große Feldversuch in einigen Monaten oder Jahren ausgewertet wird und sich herausstellt, dass man eventuell voreilig oder auf Grund unzureichender oder fehlinterpretierter Datenlage unbesonnen gehandelt hat, dass auch Experten gründlich daneben lagen. Sicherlich möchte sich kein Politik-Akteur wie Landrat Schartz sagen lassen, er hätte nichts unversucht gelassen, die Menschen vor dem Virus zu schützen, falls Neuwahlen anstehen oder es jemals zu Haftungsfragen kommt. Im Gegensatz zur Empfehlung liegt aber bei einer Anordnung die Haftung für Schäden körperlicher und wirtschaftlicher Art durch diese Anordnung nicht bei dem Geschädigten. Darüber sollten sich alle in politisch gehobener Position mit Entscheidungsbefugnis, die sich in der jetzigen Situation mit unangemessenen Empfehlungen und nicht evidenzbasierten Anordnungen präsentieren, im Klaren sein.

Sicher ist nur, dass viele Vermutungen und Empfehlungen von richtigen und falschen Experten verschwinden werden, das Virus, wie andere gefährliche Viren, mit hoher Dunkelziffer uns erhalten bleibt. Mit oder ohne Maske.

Dr. Hans-Werner Weisskircher, Igel

Ein Vorschlag: Lernen Sie, lesen Sie und beschäftigen Sie sich mit einer Thematik tiefgehend und intensiv. Unabhängig mit welchem Wissensgebiet Sie sich befassen, werden Sie vielleicht folgenden Effekt erzielen: Meiner Ansicht nach entwickelt man dadurch ein ungefähres Wissen davon, was man alles nicht weiß. Dies schafft eine gewisse Form von Demut und Respekt vor Menschen, die sich einen großen Teil ihres Lebens mit einer speziellen Thematik beschäftigt haben, und schützt davor, aufgrund von ein bisschen Recherche im Internet das eigene Wissen und die eigene Kompetenz zu einem Thema zu überschätzen.

Der Mensch denkt kausal, das heißt, er fügt vorhandene Informationen zu einer schlüssigen Story zusammen. Das Problem bei dieser individuellen Theoriebildung liegt in der Auswahl der Informationen, welche durch die verfügbaren Informationen, die eigenen Bedürfnisse und viele andere Faktoren beeinflusst wird. Oftmals erfolgt die Informationsaufnahme sehr selektiv, in der Form, dass nur diejenigen Informationen verarbeitet werden, die zur eigenen Theorie passen (confirmation bias).

Was möchte ich zum Ausdruck bringen? Nur weil eine im Internet verbreitete These in sich schlüssig klingt, bedeutet dies nicht, dass diese Thesen auch die richtigen oder alle relevanten Informationen heranzieht. In den Wirtschaftswissenschaften gibt es beispielsweise sehr elegante und schlüssige Theorien. Diese Theorien treffen bestimmte Annahmen, beispielsweise die des rational handelnden Menschen (Homo oeconomicus).

Zudem werden nur bestimmte Faktoren in die Theorie einbezogen und andere Faktoren mit dem Zusatz „ceteris paribus“ (unter sonst gleichen Bedingungen) gewissermaßen fixiert. Diese Modelle scheitern regelmäßig an der Realität. So ähnlich funktioniert das auch bei unseren Überzeugungen. Wir verarbeiten nur einen Bruchteil der relevanten Informationen, gewichten Informationen selektiv und stellen kausale Verknüpfungen her, wo vielleicht gar keine da sind. Unsere Theorie ist damit vielleicht in sich schlüssig, aber eben nicht wahr! Um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, benötigen wir wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn auf Basis solider empirischer Daten. Und das benötigt Zeit.

Mein Fazit: Bevor Sie leichtfertig bestimmte Meinungen teilen. Stellen Sie sich vielleicht folgende Fragen: Verstehe ich die Information, die ich teile? Welche Informationen wurden nicht berücksichtigt? Teile ich diese Meinung vielleicht nur, weil sie gerade einen Aspekt der komplexen Gesamtproblematik abdeckt, der für mich besonders relevant ist? Stimmen die zugrunde gelegten Annahmen der Meinung/These beziehungsweise lassen sie sich prüfen?

Die Liste ließe sich problemlos erweitern. Aber vielleicht merken Sie an dieser Stelle bereits, dass es gar nicht mehr so einfach ist, bestimmte Ansichten aus voller Überzeugung zu teilen? Aber wem soll ich denn nun glauben? Was ist richtig?

Das kann ihnen momentan niemand sagen. Halten Sie diese Ungewissheit aus und widerstehen Sie der Versuchung, sich eine feste Meinung zu bilden. Haben Sie Verständnis für die Politik. Sie orientiert sich an den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, über die sich das Gros der weltweiten Experten einig sind.

Ach ja: Meine Ausführungen beziehen sich auf die Corona-Diskussionen in den sozialen Medien. Aber vielleicht ist der Grundgedanke auch auf andere Themen übertragbar, damit nicht jede Meinung ungefiltert geteilt wird.

Guido Semrau, Dipl. Volkswirt, B.Sc. Psychologie, Hupperath

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