Gesellschaft Umkehren, aber nicht so!

Zum Leserbrief „Nutzt die Zeit, um nachzudenken!“ (TV vom 2./3. Mai) schreibt Peter Trauden:

Man kann es nicht anders nennen als religiösen Fundamentalismus, was Ernst Marx da in seinem Brief äußert. In (un)guter alter katholischer Manier stellt er die gegenwärtige Pandemie als Strafe seines Gottes dar. Damit stellt er sich in eine Reihe mit den sogenannten wiedergeborenen Evangelikalen in den USA, die auch alles Geschehen ihrem Gott zuschreiben und dabei alles und jedes in Abrede stellen, das zwar zweifelsfrei wissenschaftlich nachweisbar, aber nicht konform ist mit ihrer religiösen Vorstellung.

So glauben diese bibeltreuen Christen, dass die Welt vor 6000 Jahren erschaffen wurde, auch wenn noch so viele archäologische Beweise etwas ganz anderes belegen.

Was mich aber am meisten stört, ist dieses bigotte Ermahnen, endlich „umzukehren“, zurück in den heiligen Schoß ihrer Kirche.

Lieber Herr Marx, wenn Sie schon schreiben, Ihr ach so mächtiger Gott hätte ohne weiteres diese und jede andere Katastrophe verhindern können, dann sollten Sie auch eine Aussage darüber machen, warum bei allen Unglücken dieser Welt immer auch total Unschuldige getroffen werden. Als Beispiel möchte ich nur die Tsunami-Katastrophe von Weihnachten(!) 2006 nennen. Da war Ihr allmächtiger Gott wohl nicht so recht bei der Sache, als beispielsweise Abertausende Kinder in den Fluten umkamen, egal, ob Christen, Muslime, Buddhisten oder Angehörige anderer Religionen? Wer allmächtig ist und die Menschheit Moral lehren will, der wird doch wohl imstande sein zu unterscheiden, wen er da killt?

Nein, lieber Herr Marx, Ihr Brief wird wohl keinen zur Umkehr bewegen. 

Was die Corona-Krise allerdings überdeutlich zutage bringt, ist die Erkenntnis, dass unsere Vorstellungen von gesellschaftlicher Verantwortung gründlich überdacht werden müssen. Der hemmungslose Konsum, das völlig verantwortungslose Ausbeuten unseres Planeten, die mutwillige Zerstörung wertvoller Biosphären muss endlich aufhören. Wer beispielsweise wie Trump in den USA Gift in die Erde jagt, um so die Ölvorkommen herauszupumpen, wer wie Bolsonaro in Brasilien Ureinwohner vertreiben und den Regenwald abholzen lässt, der gehört öffentlich angeprangert und bestraft. Genau so wie diejenigen, die es bisher für schick hielten, sich hier für 14 Euro mal eben in den Flieger zu setzen, um in Italien einen Cappuccino zu genießen.

Dafür bräuchten wir keinen Gott, sondern anständige und mutige Politiker. Das wäre eine Umkehr, die der Menschheit tatsächlich zugute käme. Bis dahin genieße ich jeden Tag, an dem ich keine Kondensstreifen am Himmel sehe.

Corona sei Dank.

Peter Trauden, Heilbach

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