Wein Mit einem Hauch von dampfendem Pferdeapfel

Zur Kolumne „Auslese“ (TV vom 4./5. Januar) schreibt Hubert Clemens:

Clemens Beckmann beweist es mir wieder: Wein mit Worten zu beschreiben ist ähnlich schwierig wie Musik zu erzählen oder Architektur zu tanzen, sozusagen ein untauglicher Versuch am untauglichen Objekt. Wenn die von Ihrem Kolumnisten rezensierten sogenannten Weinführer unter dem Zwang stehen, jedes Jahr mehr als 150 Seiten vollschreiben zu müssen, dann verwundert es nicht, wenn die „lichten und vibrierenden Weine“ mit alles- und nichtssagenden Prädikaten wie „beschwingt und klarfruchtig“ (Saar) oder „reiffruchtig, kraftvoll und vielschichtig“ (Terrassenmosel um Winningen) differenzieren. Wie sollen die Weine denn sonst auch sein? Früher kam der Weintrinker mit sauer, süß, herb, lieblich und süffig aus.

Heute tummelt sich in der Verlagslandschaft ein halbes Dutzend Publizisten und Verleger, die am Wein mitverdienen wollen. Wer soll das alles lesen? Jedenfalls bedienen die Zeilenschinder in den Weinführerverlagen eine sichere Klientel – Tausende von Winzern, die glauben, die Wichtigtuer des Bewertungsgewerbes wichtig nehmen zu müssen, weil diese ja vielleicht den Markt beeinflussen. Ihnen möchte man raten: Nehmt die Sterne-Vergeber nicht so ernst! Eine Fülle von Beispielen des modernen Weinschmeck-Sprechs, in den Wein-PR und Wein-Kritik ihren Dampf hüllen, findet man aber auch bei den Winzerbetrieben selbst, etwa im Online-Katalog und in den Werbeschriften der Trierer Bischöflichen Weingüter. Ich weiß zwar nicht, was jeweils mit „schöne Länge und erfrischendem Nachhall“, „fruchtige Mineralität und vibrierende Frische“, „gelungene Säurestruktur“, „herrliche saftige Animation“ oder „finessenreiches Spiel auf der Zunge“ genau gemeint ist, aber der moderne Weintrinker wird‘s schon wissen, und darauf kommt es ja schließlich an. Die Zitate stammen aus dem Werbeprospekt der bischöflichen Weinkellerei – önologische Reklameprosa reinsten Wassers, pardon: Weines. Seite für Seite metaphorische Übertreibungen: „Mit einem Hauch von Pfirsich und Majoran, abgerundet mit einer Impression aus Mangos und raffiniert angereichert mit einer winzigen Spur von Devonschiefer“, liest man da. Oder, wohl an weintrinkende Naturwissenschaftler gerichtet: „Ein raffiniertes Arrangement von naturbelassenen Feuchtigkeitselementen, gewürzt mit molekularer Struktur von uraltem Rebholz, angereichert mit einer kräftigen Spur ins Lehmhafte und abgerundet durch ein liebliches Elementchen, das beinahe an Eau de Cologne erinnert.“

Da reizt es einen zu Füßen von Moselweinbergen Aufgewachsenen wie mich doch sehr, auch einmal solche skurrilen Beschreibungen auszudenken, am besten auf die jeweilige Trinker-Zielgruppe abgestimmt. Etwa für den Motorsportler: „Dieser tief dunkelrote Wein, angebaut am Fuße der Nürburg und vinifiziert nach dem Zweitakt-Verfahren, duftet nach zarter Rizinusfahne, gepaart mit feinstaubigem Bremsabrieb.“ Oder für Reiter: „Die dezente Röstnote dieses Weins erinnert an verbranntes Horn beim Hufschmied, mit einem Hauch von dampfendem Pferdeapfel. Schöne Balance zwischen frischem Heu und Stallgeruch.“ Und für Raucher: „Auf der Zunge der würzige Biss einer frisch angeschnittenen Havanna; deutlicher Nachhall von kaltem Zigarrenrauch und ausgedrückten Kippen im Aschenbecher.“ Journalisten wie Ihr Auslese-Kolumnist werden sich wohl eher für ein Hochgewächs begeistern, das ihnen mit ein wenig Duft nach Papier, Verlagsluft und Druckerschwärze Erinnerungen an vergangene Zeiten wachruft.

Hubert Clemens, Reil

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