Gesellschaft Zehn kleine Weiße schlachteten ein Schwein ...

Zu den Leserbriefen unter der Überschrift „Sonst keine Probleme?“ (TV vom 25./26. Juli) sowie zur Berichterstattung über die Diskussion um Rassismus und das „M-Wort“ schreibt Norbert Bogerts:

Wenn Hans-Henning Trautmann schreibt, dass er mit dem „Sarotti-Mohr“ groß geworden sei und diesen Begriff nicht als rassistisch empfunden habe, so ist das glaubwürdig, beweist aber doch, wie wenig wir Weiße über Rassismus wissen. Grundaussage des Rassismus ist: „Du gehörst nicht dazu!“ Er grenzt aus, schafft Unterschiede zwischen Menschen, die abgestempelt werden als „die anderen“ aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder Nationalität. Artikel 1 des Grundgesetzes lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und nicht: „Die Würde des Deutschen ist unantastbar“, egal ob schwarz oder weiß.

Rassismus beruht auf einem Überlegenheits- und Herrschaftsdenken. Wir sollten uns fragen, ob wir wirklich überlegen sind. Unsere Zivilisation ist es, die mit ihrer kapitalistischen Wirtschaftsweise, die zum großen Teil auf Ausbeutung fremder Kulturen basiert, die Zukunft unseres Planeten bedroht, sei es durch Klimawandel, Artensterben oder militärische Bedrohung mit Atomwaffen. Als wir noch im finstersten Mittelalter standen, waren arabische und afrikanische Kulturen uns weit voraus, etwa auf mathematischen, medizinischen oder architektonischen Gebieten. Wir waren „besser“ in der Waffenentwicklung und konnten somit die Indigenen in Amerika, Afrika und Asien vertreiben, töten oder unterwerfen. Mit dem Dreieckshandel vom 17. bis 19. Jahrhundert (mit Feuerwaffen und Tand beladene europäische Schiffe fuhren nach Afrika, tauschten Mitgeführtes gewaltsam gegen Sklaven ein, die nach Amerika verschifft wurden, um dort auf Plantagen zu schuften; mit den von ihnen produzierten Gütern und Rohstoffen kamen die Schiffe nach Europa zurück) wurde das zur Industrialisierung in Europa erforderliche Kapital mittels Ausbeutung erwirtschaftet, die es uns ermöglichte, unsere Vormachtstellung zu festigen und selbst nach der Unabhängigkeit vieler afrikanischer Staaten seit den 1960er Jahren neokoloniale Strukturen weiter auszubauen, die viele Länder in Abhängigkeit halten.

Man sollte sich einmal vorstellen, wie es uns ergangen wäre, hätten andere Mächte Europa überfallen, die stärksten Männer versklavt, verschickt und Europa ausgebeutet. Dann würden diese Herrenmenschen nicht singen „Zehn kleine Negerlein …“, sondern „Zehn kleine Weiße schlachteten ein Schwein, der eine stach sich selber tot, da waren’s nur noch neun“ oder „Acht kleine Weiße, die waren ganz durchtrieben, doch sie ham den Krieg verloren, da waren es nur noch sieben“ und so weiter.

Die deutsche Mehrheitsgesellschaft hat ein Repertoire an undifferenzierten und stigmatisierenden Bildern von Schwarzen Menschen und PoCs (People of Colour), die sich auf unseren Umgang im täglichen Leben auswirken, sei es bei der Arbeits- oder Wohnungssuche. Solche Bilder sind selbst in gesellschaftlichen Organen anzutreffen, zum Beispiel bei Polizei-, Sicherheits-, Einwanderungs- oder Zollbeamten (Racial profiling).

Wer also nicht Rassist sein will, sollte sich in der Alltagssprache und im Umgang mit anderen Menschen, seien es Weiße oder PoCs, ausgrenzender und stigmatisierender Begriffe (Neger, Mohr) enthalten und Widerspruch einlegen, wenn diese ihr oder ihm begegnen.

Norbert Bogerts, Welschbillig

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