Kolumne Ne bis in idem – nicht zweimal in derselben Sache

Der in Trier wohnende und bei einem luxemburgischen Transportunternehmen beschäftigte Berufskraftfahrer S befährt mit seinem LKW mit Anhänger die Autobahn von Koblenz nach Luxemburg. In Höhe des Parkplatzes „Sauertal“ fällt dem aufmerksamen A auf, dass der LKW vor ihm in Schlangenlinien fährt.

 Franz-Peter Basten.

Franz-Peter Basten.

Foto: Sabine Schwadorf

A informiert per Handy die Polizei in Trier, diese die luxemburgische Polizei in Grevenmacher. Bei der Durchfahrt durch den Bereich der Autobahntankstelle rammt der S eine Leitplanke und beschädigt diese erheblich. S bemerkt dies, fährt aber trotzdem, ohne anzuhalten, weiter. An der Abfahrt Potaschbierg wird er von der luxemburgischen Polizei in Empfang genommen. Ein Atemlufttest ergibt einen Alkoholgehalt von 1,20 mg/Liter ausgeatmete Luft = 2,40 Promille. Nach weiteren sachdienlichen Feststellungen wird S an die deutsche Polizei übergeben. Eine nach der Übergabe veranlasste Blutprobe ergibt eine BAK von 2,04 Promille.

Einige Tage später erlässt die zuständige luxemburgische Untersuchungsrichterin ein vorläufiges Fahrverbot gegen S. Etwa zur gleichen Zeit wird S durch Beschluss des Amtsgerichts Trier (AG) die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen.

S hat mit seinem Verhalten ein und dieselbe Straftat teilweise in Deutschland und teilweise in Luxemburg verwirklicht. Es gehört zum Kernbestand aller Rechtsstaaten, dass man für ein und dieselbe Tat nicht zweimal bestraft werden darf – ne bis in idem! Im vorliegenden Falle also für die Trunkenheitsfahrt entweder in Deutschland oder in Luxemburg und nicht in Deutschland und in Luxemburg. Die Sanktionsmechanismen des Strafrechts weichen in Deutschland und Luxemburg bei der Ahndung von Trunkenheitsdelikten stark voneinander ab. Während der Entzug der Fahrerlaubnis und die damit verbundene Sperrfrist in Deutschland als Maßregel einer Aussetzung zur Bewährung nicht zugänglich ist, wird die „interdiction à conduire“ (Fahrverbot) in Luxemburg bei einem Ersttäter in der Regel ganz oder teilweise zur Bewährung ausgesetzt, vor allem wenn der Angeklagte glaubwürdig darlegen kann, dass er ztum Beispiel aus beruflichen Gründen dringend auf seinen Führerschein angewiesen ist. Darüberhinaus kennt das luxemburgische Recht den sogenannten „Idiotentest“ nicht.

S wird etwa 3 Monate nach der Tat vom tribunal correctionnel in Luxemburg wegen Unfallflucht und Trunkenheit am Steuer rechtskräftig wie folgt verurteilt:

1) 1000 Euro Geldstrafe

2) 15 Monate Fahrverbot für die Unfallflucht, von dem die Fahrten zu und von der Arbeit sowie die Fahrten als Berufskraftfahrer ausgenommen sind

3) 28 Monate Fahrverbot für die Trunkenheit am Steuer,von denen 18 Monate zur Bewährung ausgesetzt werden,für die restlichen 10 Monate werden die Fahrten zu und von der Arbeit sowie die Fahrten als Berufskraftfahrer vom Fahrverbot ausgenommen.

Etwa zur selben Zeit erlässt das Amtsgericht Trier wegen Trunkenheit am Steuer gegen den nicht vorbestraften S einen Strafbefehl mit folgendem Tenor:

1) 1400 Euro  Geldstrafe

2) Entzug der Fahrerlaubnis

3) Sperrfrist von noch weiteren 9 Monaten.

Der Verteidiger des S legt gegen den Strafbefehl fristgerecht Einspruch ein. Noch bevor es zur Hauptverhandlung kommt, legt er dem Amtsgericht die rechtskräftige Entscheidung aus Luxemburg vor und beantragt, das Verfahren gegen S wegen Bestehen eines Verfahrenshindernisses einzustellen. Daraufhin stellt das AG das Verfahren unverzüglich ein und hebt den Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auf. Der Führerschein wird dem S wieder ausgehändigt. S freut sich.

Fazit: Als Ersttäter steht sich der S bei einer Verurteilung nach luxemburgischem Recht deutlich besser als bei einer Verurteilung nach deutschem Recht. Wenn allerdings S innerhalb von 5 Jahren nach der Verurteilung erneut eine Verkehrsstraftat begeht, insbesondere erneut unter Alkoholeinfluss fährt, sind die Folgen der Verurteilung in Luxemburg ungleich härter als in Deutschland. Denn dann wird die Bewährung widerrufen und das gesamte Fahrverbot vollstreckt, das deutlich länger ist als die deutsche Sperrfrist, nach deren Ablauf eine neue Fahrerlaubnis wieder erteilt werden darf.

Rein vorsorglich macht der Verteidiger S noch auf folgendes aufmerksam: Wenn die deutsche Führerscheinbehörde Wind von der Sache bekommt und Zweifel an der Eignung des S zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen, kann sie vom S eine medizinisch-psychologische Untersuchung verlangen(Idiotentest),was im Ergebnis dazu führen kann, dass dem S doch noch auf dem Verwaltungswege die Fahrerlaubnis entzogen wird.

Franz-Peter Basten (75) ist seit 2004 in Luxemburg als Anwalt zugelassen, seit 2007 als avocat à la Cour, was zur Vertretung auch an den obersten Gerichten Luxemburgs berechtigt, einschließlich der Cour de Cassation.

Die Cour de Cassation ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit und damit nicht nur das höchste Gericht in Zivilsachen, sondern auch in Strafsachen.

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