Erinnerung an NS-Opfer Dem Überlebenden versagt die Stimme

Trier · Die Trierer Sinti und Roma gedenken des Deportationsbeginns am 16. Mai 1940. Einer der Hauptredner bei der Feier warnt vor dem Rechtsruck in Europa. Dann kann er nicht mehr weitersprechen.

 Vor den Gedenkstelen am Dom: Oberbürgermeister Wolfram Leibe und Christian Kling vom Landesvorstand.

Vor den Gedenkstelen am Dom: Oberbürgermeister Wolfram Leibe und Christian Kling vom Landesvorstand.

Foto: TV/Friedhelm Knopp

Mit zu den schwärzesten Kapiteln der deutschen Geschichte gehört  die Verfolgung und Vernichtung der in Deutschland und im besetzten Europa lebenden Sinti und Roma durch das Nazi-Regime. In Deutschland begannen die familienweise organisierten Deportationen vor 81 Jahren, am 16. Mai 1940. 

Am Sonntag gedachten auch die in Trier lebenden Sinti und Roma dieses Tages. An der Gedenkfeier vor dem neuen Mahnmal am Bischof-Stein-Platz nahm mit Christian Pfeil einer der letzten Trierer Holocaust-Überlebenden aus der Reihe der  verfolgten Sinti teil. Wie sich zeigte, sollte es für den im KZ geborenen 78-Jährigen ein schwerer Gang werden. Weitere  offizielle Teilnehmer des Gedenkens waren Christian Kling, Vorstandsmitglied des Landesverbandes der Sinti und Roma und Großneffe von Christian Pfeil, sowie Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe.

Die Gedenkfeier im Schatten des Doms konnte pandemiebedingt nur im kleinen Kreis stattfinden. Im Namen des Landesverbandes begrüßte Christian Kling die Anwesenden.  Er eröffnete mit einem Zitat seines Großonkels: „Man kann verzeihen, darf aber nicht vergessen.“

Für den NS-Staat sei der 16. Mai 1940  ein erster „Testlauf“ gewesen, um das Zusammenwirken zwischen Reichssicherheitshauptamt, der lokalen Ortspolizei und der Reichsbahn zu erproben. Kling: „Insgesamt wurden bei der Aktion  2800 Sinti und Roma deportiert.“

Die Familien aus den Regionen Trier und Koblenz seien zunächst in ein Sammellager auf dem Kölner Messegelände gekommen. Dort hätten sie ihre Ausweispapiere  im Tausch gegen einen „Zigeunerausweis“ abgeben müssen. Kling: „Wenige Tage später wurden sie mit der Reichsbahn in die Konzentrationslager und Ghettos im besetzten Polen gebracht. Bis 1945 fielen bis zu 500 000 Sinti und Roma dem Rassenwahn der Nationalsozialisten zum Opfer.“

Kling sagt: „Der Nationalsozialismus ist Teil unserer Geschichte, ein Teil der deutschen Geschichte und auch ein Teil der Geschichte unserer Stadt.“ Dieser Ort des Gedenkens sei ein wichtiger Bestandteil für die Erinnerungskultur, ein Mahnmal für Gegenwart und Zukunft. Kling: „Wir sind Trierer und leben gerne hier, das ist unsere Heimat, unsere Stadt. Ich möchte mich im Namen meiner Familie und meines Landesverbandes für ein gutes Miteinander bedanken.“

Oberbürgermeister Leibe nannte dieses Gedenken „einen wichtigen Akt, um in Erinnerung zu rufen, was vor 81 Jahren auch hier in Trier passiert ist“. Und er sagte: „Wir haben es in Trier nicht besser gemacht. Auch nicht nach 1945.“ Leibe zitierte dazu die Schriftstellerin Ursula Krechel: „Da saßen plötzlich die Kinder der Opfer, der Täter und der Wegschauenden zusammen auf einer Schulbank.“ Seine Rede nicht zu Ende führen konnte Christian Pfeil, einer der letzten Holocaust-Überlebenden der  Trierer Sinti. Es sei beschämend für die deutsche Geschichtspolitik, dass es bis zum Jahre 1982 gedauert habe, bis ein Bundeskanzler die Ermordung von 500 000 Sinti und Roma in der Nazizeit als Völkermord bezeichnete. Weitere 30 Jahre habe es gedauert, bis den Opfern des NS-Regimes ein würdiges Denk- und Mahnmal gesetzt wurde.

Pfeil: „Meine drei Geschwister und ich sind die letzten Trierer Sinti-Zeitzeugen. In Gedanken sind sie heute bei uns. Wir müssen immer wieder an das Grauen und Morden in den Vernichtungslagern erinnern.“ Pfeil warnte vor dem immer bedrohlicher werden Rechtsruck in Europa. „Wir müssen uns nicht nur davor schützen, wir müssen die mundtot machen“, sagte Pfeil. Weiter kam er nicht. Er zog sich kurz zurück, versuchte es erneut, aber vergebens. Mit einer stillen Gedenkminute endete die Feier. 

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