Leserbrief Berücksichtigung der Erfolgsaussichten ist das moralisch einzig gerechte Kriterium

Triage

Zum Interview mit Prof. Till Zimmermann (TV vom 21. Januar) zum Thema „Triage-Kriterien“:

 

Nach den Ausführungen von Prof. Zimmermann darf es bei der Triage-Entscheidung keine Diskriminierung aufgrund von Alter oder Behinderung geben. Auch lehnt er die „Erfolgsaussichten“ als Kriterium für eine Priorisierung ab, wobei jedoch eine „gewisse Erfolgsaussicht“ doch da sein müsse. Mir fehlt im Moment die Fantasie, wie solche Triage-Richtlinien dann aussehen sollen, es sei denn, man würfelt, zieht Lose oder behandelt gar keinen, um niemanden zu diskriminieren.

Ich begrüße das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich, gerade deshalb, weil es die Erfolgsaussichten der aktuellen Erkrankung als Triage-Kriterium für zulässig erklärt. Wenn wir die Ressourcen sinnvoll einsetzen wollen, ist die Berücksichtigung der Erfolgsaussichten unverzichtbar. Auch ist es das moralisch einzig gerechte Kriterium und führt nicht zu einer automatischen Diskriminierung von älteren Menschen oder Menschen mit Behinderung. Ein rüstiger, gesunder 75-Jähriger kann eine bessere Erfolgsaussicht haben als ein 50-jähriger schwer übergewichtiger Diabetiker. Und eine Behinderung führt nicht zwangsläufig zu einer schlechteren Prognose.

Ich habe in diesem Zusammenhang auch ein Problem mit dem Begriff der Diskriminierung. Demnächst klagen Menschen mit Blutzuckerkrankheit oder Übergewicht, damit sie nicht diskriminiert werden, und wir kommen irgendwann an den Punkt, an dem der Arzt auf der Intensivstation einem 40-Jährigen, ansonsten Gesunden, die Behandlung zugunsten eines 70-Jährigen mit vielen Vorerkrankungen vorenthält, nur um sich nicht dem Vorwurf der Diskriminierung auszusetzen.

Ich denke auch daran, wie Hinterbliebene damit umgehen können, wenn ein Angehöriger sterben musste, weil einer anderen Person geholfen wurde. Ich bin 54 Jahre alt und weitgehend gesund. Ich denke, meine Angehörigen könnten es gut verarbeiten, wenn mir die Behandlung zugunsten eines vorher gesunden 18-Jährigen vorenthalten worden wäre. Die Vorstellung, dass ich nicht behandelt wurde, da ein ansonsten gesunder 80-Jähriger behandelt wurde mit aufgrund des Alters schlechteren Erfolgsaussichten (das Alter dürfte ja nicht berücksichtigt werden), wäre sicher schwer zu ertragen. Wir brauchen also eine rechtliche Absicherung der schwierigen Entscheidungen, da gebe ich Prof. Zimmermann recht. Wir brauchen aber auch gerechte, moralisch sinnvolle Triage-Kriterien, mit denen Hinterbliebene leben können, aber auch die Ärztinnen und Ärzte, die letztlich die schwierige Entscheidung über Leben und Tod treffen mussten.

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