Leserbrief Wir dürfen uns vor ehrlichen Diskussionen nicht länger drücken

Ukraine-Krieg

Zum Interview „Es ist sehr schwer, Pazifistin zu bleiben“ mit der Theologin Margot Käßmann, ehemalige EKD-Ratsvorsitzende (Trierischer Volksfreund vom 7. Juni):

Das Interview mit Frau Käßmann im „Volksfreund“ vom 7. Juni beschäftigt mich immer noch. „Es ist schwer, Pazifistin zu bleiben“, bekennt die ehemalige Bischöfin in der Überschrift zu dem Gespräch. Ich erwartete kluge Gedanken zu dieser schwierigen Haltung, vielleicht sogar ihre Definition des Begriffs. Leider gab es nicht viel mehr als den Hinweis auf sieben Enkelkinder und eine Erinnerung an den Vietnamkrieg.

Ich bin gelernte Westberlinerin. Ich fühlte mich sicher unter dem Schutz der westlichen Siegermächte. Die Sowjetunion beließ es bei Drohungen gegen Westberlin und Provokationen wie zum Beispiel den Schikanen bei der Durchfahrt durch die DDR.

Für die Rufe „Ami go home“ bei Demonstrationen vor allem gegen Ende der 1960er Jahre hatte ich kein Verständnis. Bis heute bin ich überzeugt davon, dass die Amerikaner uns durch ihre Festigkeit die Freiheit erhielten.

Vielleicht ist Pazifismus die edlere, die moralisch wertvollere Haltung als die Frage, ob man Waffen in die Ukraine liefern soll. Aber ich finde, dann müssen Pazifisten auch erklären, wie man auf Aggression und Überfall reagieren soll.

Wie stellt Frau Käßmann sich mehr Diplomatie und Verhandlungen vor? Bisher scheint die russische Regierung nicht Verhandlungen, sondern Unterwerfung zu planen. Sollte sie damit Erfolg haben, erwartet die Ukraine ein schlimmes Schicksal. Und der Angreifer sieht seine zynische Überzeugung bestätigt, dass man nur brutal genug agieren muss, dann kann man seine verbrecherischen Ziele erreichen. Was wäre das nächste Ziel? Das übernächste?

Die Zeitenwende, von der der Bundeskanzler sprach, erzwingt vor allem eine Veränderung unserer Wahrnehmung von Zukunft. Die können wir uns einfach nicht vorstellen. Der Zugang zu billigen Rohstoffen ist vorbei.

Minister Robert Habeck plant die weitere Nutzung von Kohle zur Energieerzeugung. Ist er noch bei Trost? Aber was soll er denn sonst machen? Wir brauchen Energie. Ein kaum aushaltbares Dilemma. Wir sollen Strom sparen. Also gewöhnen wir uns an, unsere Elektrogeräte auszuschalten und nicht länger auf „Standby“ zu halten.

Können wir nur noch kalt duschen? Was ist mit dem Backofen? Auf 230 Grad vorheizen für unsere Pizza? Nicht mehr zu verantworten? So schlimm wird es nicht kommen, oder? Droht wirklich eine Hungersnot? Die gibt es schon lange, in vielen Ländern, aber bei uns? Wir dürfen uns vor ehrlichen Diskussionen nicht länger drücken.

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