Nazi-Gräuel Gedenken an die Deportation von Sinti und Roma in Trier – „Was wäre, wenn …“

Trier · Vor 82 Jahren startete der Deportationszug am Trierer Hauptbahnhof, er brachte die aus ihren Leben gezerrten Menschen in Konzentrationslager. Die Trierer Sinti und Roma gedenken des Deportationsbeginns am 16. Mai 1940. Die Redner haben vor einem Vergessen im Angesicht von aktueller Diskriminierung gemahnt.

 Gedenken an die in der NZ-Zeit deportierten Sinti und Roma an den Stelen gegenüber des Trierer Doms (von links): Kulturdezernent Markus Nöhl, Helene Höhn, Jacques Delfeld, Vorsitzender des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma, und Holocaustüberlebender Christian Pfeil.

Gedenken an die in der NZ-Zeit deportierten Sinti und Roma an den Stelen gegenüber des Trierer Doms (von links): Kulturdezernent Markus Nöhl, Helene Höhn, Jacques Delfeld, Vorsitzender des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma, und Holocaustüberlebender Christian Pfeil.

Foto: Mechthild Schneiders

Ganz still ist es, nur ein Luftzug ist spürbar in der Windstraße hinter dem Dom. Ein Ort der Stille – das sei die Idee gewesen, die der Trierer Künstler Clas Steinmann hatte, als er die Gedenkstätte zur Erinnerung an die während der NS-Zeit deportierten und ermordeten Sinti und Roma gestaltet hat, sagt Triers Kulturdezernent Markus Nöhl bei der Gedenkveranstaltung anlässlich des Jahrestags der Deportation am 16. Mai 1940. „Hier ist ein Platz zum Erinnern.“ Die sechs Bronzestelen versuchen, diesem einen Rahmen zu geben, an denen man gedenken kann an die Verbrechen, die damals erfolgten und heute nicht mehr greifbar sind.

Heute vor 82 Jahren startete der Deportationszug am Trierer Hauptbahnhof. In den Morgenstunden wurden mindestens 26 in Trier lebende Sinti und Roma aus ihren Häusern, ihrem Leben gezerrt. Ihre erste Station war das Sammellager auf dem Kölner Messegelände, wo sie fünf Tage verbringen und „rassehygienische“ Untersuchungen erleiden mussten. Von dort ging es weiter in Ghettos und Konzentrationslager ins besetzte Polen, wo sie schwerste Arbeit in der Industrie oder im Straßenbau verrichten mussten. „Das Ziel dieser unmenschlichen Arbeitsbedingungen war die Vernichtung der Menschen“, sagt Nöhl. Von zwölf Sinti und Roma, darunter auch Kinder, sei bekannt, dass sie in Auschwitz ermordet wurden, ergänzt Jacques Delfeld, Vorsitzender des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma. Einige lebten in der vierten Generation in Trier.

Der Transport am 16. Mai 1940 sei ein erster „Testlauf“ gewesen, berichtet Delfeld. „Die Nazis wollten schauen, wie sie die Transporte organisieren können, wie die Menschen, die Mütter, Schwangere und Alte, reagieren. Insgesamt wurden bei der Aktion 2800 Sinti und Roma deportiert.“ Auch die Eltern von Christian Pfeil – er wurde 1944 im Ghetto Lublin geboren – und Helene Höhn. Beide wohnen der Veranstaltung bei. Der Landesverband gedenke heute an sechs Orten den Opfern. „Dieses Leid darf nie vergessen werden, das sind wir den Opfern und uns allen schuldig“, sagt Nöhl. Denn dies sei das Ziel der Nazis gewesen.

Trotz Gedenkort, die Leiden von Sinti und Roma seien in der Bevölkerung nicht so präsent, kritisiert Delfeld. Das zeigt sich auch vor Ort, da diese – auch wohl infolge der zweijährigen Coronapause – bei der Gedenkveranstaltung kaum anwesend ist. Jedoch passieren Schüler- und Touristengruppe den Gedenkort. „Wir wollten bewusst einen Ort, an dem Bewegung ist“, sagt Delfeld, „was die Stille besonders macht.“ Er sei besonders stolz auf das Trierer Mahnmal. „Es war damals das erste mit QR-Code“, zudem sei die Schrift ertastbar.

Er erinnert auch an die Zeit nach 1945, die Zeit der Nichtanerkennung des Leids von Sinti und Roma. „Auch heute gibt es noch Diskriminierung.“ Nicht nur in der Ukraine und an der polnischen Grenze, wo Sinti und Roma an der Flucht gehindert werden, sondern auch in Mannheim, wo ihnen das Betreten des Aufenthaltsraums verwehrt wurde. Er habe oft Vorbehalte bei der Härtefallkommission des Landes oder bei der Polizei erlebt, bestätigt Dieter Burgard, ehemaliger Beauftragter für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen.

Nöhl zieht auch eine Parallele zum Krieg in der Ukraine. Es werde wieder erneut die Frage nach der Identität von Menschen gestellt. „Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass es heute wieder so ist.“ Deshalb sei das Erinnern und Gedenken ein Handlungsauftrag an die Gesellschaft, für eine wehrhafte Demokratie. Das erfordere einen starken Staat und eine starke Zivilgesellschaft, die für die Schwachen eintrete. Im Angesicht von neuen Diktaturen, in denen Pressefreiheit und Menschenrechte eingeschränkt werden, würden, so Delfeld, viele Sinti und Roma schon darüber diskutieren: „Was wäre, wenn …“

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