Kurzgeschichte Als Fronleichnam seine Prozession zurückbekam

Korlingen · Autor Bernhard Hoff­mann aus Korlingen (Landkreis Trier-Saarburg) erzählt eine neue Geschichte vom Pitter aus dem späten 18. Jahr­hundert – illustriert von Christina Bublitz. Diesmal geht es um Staat und Kirche.

Ein Umzug durch das Dorf wird zunächst von Soldaten gestoppt.

Ein Umzug durch das Dorf wird zunächst von Soldaten gestoppt.

Foto: Christina Bublitz

Im März 1798 wurde alles Kirchliche untersagt, nachdem schon alle Kirchen und Klöster geplündert waren. Im Trierer Dom lagerte der Proviant für die französische Besatzungsmacht, und die Soldaten stellten ihre Pferde dort unter. Die „Religion der Vernunft“ schritt voran – eine Messe, eine christliche Beerdigung oder gar eine Prozession waren nicht mehr gestattet. Eifrige Zuträger solcher Handlungen musste die Verwaltung in Trier haben. Mehr als einmal war einer aus Trier gekommen und hatte die Korlinger ertappt, wie sie die „déchristianisation“ gründlich miss­achteten.

Eine gute Zeit für Spitzel war das also und eine schlechte für die Bauern. Da gab es vielleicht solche Zuträger aus dem Dorf, für Geld wahrscheinlich. Zwar fand der Pitter vieles in der neuen Ordnung richtig und endlich gerecht. Aber deswegen Menschen verraten, denen ihre Religion wert und heilig war, das ging zu weit.

Zum „Herrgottstag“ hatte er eine Idee. Der hieß richtig Fronleichnam und war eines der Hochfeste im Kirchenjahr zur bleibenden Gegenwart Christi in dieser Welt. Eine eucharistische Prozession gehörte dazu, bei der der Pfarrer die Monstranz unter einem Baldachin über die Felder trug. Natürlich wollten sich die Korlinger dieses schöne Fest mit den blumengeschmückten Altären und Hunderten von grünen Bäumchen und Zweigen am Weg nicht nehmen lassen. Außerdem gab es was zu trinken danach …

Die Franzosen hatten das Fest mit dem Hinweis auf das massenhafte Abholzen von Birken verboten – das war natürlich bloß ein Vorwand. Das würde ein Spitzel sicherlich melden, denkt sich der Pitter und erklärt der Gemeinde: „Wir gehen zu einem republikanischen Umzug.“ – „Was, wie?“ – „Mit ‚tricolore‘, Kokarden und französischen Liedern.“ – „Was? Bist du des Teufels? Nie. Niemals!“, schreien alle. Aber selbst der Johann lacht über den Plan und will selbst kräftig mitsingen. Und seinen Mist wird er in diesem Jahr nicht neben den geschmückten Wegen ausbringen, was er in all den Jahren bisher mit leidenschaftlicher Wut auf die „Katholischen“ getan hatte.

„Und zuletzt“, beruhigt sie der Pitter, „führt uns der Pfarrer in unserer gewohnten Prozession nach Hause.“ Tja, das klang verrückt, so eine Art Fastnachts­spiel mit Verkleidung und Juchheißa und einem Fässchen Viez. So würde man endlich den Spitzel entlarven. Und die Prozession wäre ja auch gerettet.

Also kaufte der Pitter in Trier beim Trödler 80 Kokarden, das waren handtellergroße Rosetten in den Farben der „tricolore“. Die waren falsch eingefärbt und daher billig. Dann fadenscheinige französische Fahnen mit verblichenen Farben, milchig und durchsichtig waren die. Und für sich einen verbeulten Dreispitz. Dann tönte er im Dorf von der bevorstehenden Prozession herum – das Verbot sei ihnen egal und so weiter.

Am „Herrgottstag“ ging’s dann los. Den Tarforster Weg hoch, immer höher, mit lautem Abgesang der verschiedenen französischen Lieder, die der Johann vorbrüllte, dass Fauna und Flora sich duckten. Na, und das nicht ganz so vollendet klingende Französisch unserer Korlinger zauberte die seltsamsten Textvarianten – vor allem die Wörter auf -age erfreuten sich besonderer Beliebtheit „bagage, blamage, am A …“

Doch was ist das? Pferde. Die Hufschläge auf dem Feldweg von Tarforst her sind schon von weitem zu hören. Und da kommen schon ein Dutzend Soldaten auf die Korlinger zu. Knapp vorm Pitter, der sich ihnen entgegenstellt, bäumt sich Rappe des „lieutenant“ auf. „Uh!“, schreien da alle. Aber der Pitter steht fest wie ein Baum. „Qu’est-ce que c’est?“, brüllt der Leutnant den Pitter an. Es sei ihnen gemeldet worden, dass – „Ein Freiheitsumzug“, unterbricht ihn der Pitter und zeigt auf die Fahnen und Kokarden an jedem Hemd. „Liberté, solidarité, fraternité!“, ruft der Johann, und alle kreischen es nach. Derweil starrt der „lieutenant“ auf die Kokarden, wo statt des blutigen Rots ein kräftiges Orange leuchtet. „Trop de soleil, zu viel Sonne“, sagt der Pitter, sie trügen sie immer und überall, „toujours et partout!“

Da stößt der Mensch mit seinem Degen in das Stroh des mitgeführten Wagens, in dem die Kinder sitzen. Ihr könnt mir glauben, das gibt einen Aufschrei, die Mütter sind außer sich, die Männer drängen die Pferde beiseite, ein Gerangel setzt ein, Fluchen, Schimpfen, Stöße, Schläge …

Der Pfarrer saß inzwischen, auf die Gemeinde wartend, auf der Tarforster Höhe und hatte die Soldaten vorbeigaloppieren sehen. Sein Messgewand im Ranzen, hört er den Lärm, Schreien von Frauen, helles Kreischen der Kinder und Pitters lautstarke Stimme. Er sieht, wie die Pferde scheuen und im Korn herumtrampeln. Ach, mein Gott, auf was hatte er sich da eingelassen? Aber dann rasen sie schon wieder an ihm vorbei, wutschnaubend zurück in die Stadt, weil unnötig ein freier Morgen geopfert wurde. Na, der sollte was erleben, der falsche Informant.

Unten lachen sie, greifen zum Viez, trinken und umarmen sich und reißen Kokarden und Fahnen herunter. Es war also wohl der Knecht vom Johann. Der gesteht später auch, packt seine Sachen und ist weg. Heißa, noch einen Schluck, und gekräftigt geht es zum Pfarrer empor. Der steht im Messgewand, holt die Monstranz aus dem Heu, den Baldachin, das geweihte Wasser und zum Verspritzen des Weih­wassers das sogenannte Aspergill.

Ein rotes Tuch an vier Fahnenstangen bildet jetzt den Baldachin, unter dem die Monstranz vom Pfarrer getragen wird. Die Kinder sind vorangelaufen und stellen die im Fuhrwerk mitgeführten Büsche und Zweige an den Wegrand und streuen an vier Stellen nach Ost und West, nach Süd und Nord die Blumenberge aus. Und da segnet der Pfarrer an diesen Altären in die vier Himmelsrichtungen, Felder und Wälder, Menschen und Tiere. Ach, wie herrlich die Lerche dazu jubiliert und wie kräftig das Korn steht.

Und durch den mittäglichen Viez­genuss erscheinen die grünen Ähren noch grüner, als sie sind, und alle sind gerührt. Es ist noch bunter und schöner als je zuvor, weil die roten Blumen­teppiche viel feuriger erglühen und die blauen viel tiefer erscheinen. „Nanu, Pitter, was ist denn mit dir, du hast ja Tränen in den Augen?“ Aber das kommt nur daher, dass der Pfarrer, neben dem der Pitter das Weihwasser trägt, allzu großzügig das Aspergill nach rechts und links schwenkt.

Ein neues Buch des Autors mit 25 Erzählungen und 50 Aquarellen von Christina Bublitz erscheint im Herbst. Weiterhin lieferbar: „Der Pitter. Korlinger Geschichten I“, 140 Seiten, 18,90 Euro, ISBN: 9783755778547.

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