Interview Wenn die Jahreszeit die Stimmung drückt

Bernkastel-Kues · Man kennt es – im Herbst wird es küh­ler und düs­te­rer und das kann ei­nen schon mal in eine me­lan­cho­li­sche Stim­mung ver­set­zen. Doch nicht bei je­dem han­delt es sich da­bei nur mal um einen schlechten Tag. Was hat es mit dem Phä­no­men Herbst­de­pres­sio­nen auf sich?

 Dr. Michael Lammertink.

Dr. Michael Lammertink.

Foto: Verbundkrankenhaus Bernkastel/Wittlich

Die Tage werden kürzer und draußen ist es kalt und verregnet. Oft verbringt man die wenigen Stunden, in denen es wirklich hell draußen ist, im Haus. Das kann für manche Menschen Folgen haben. Dr. Michael Lammertink, Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Verbundkrankenhaus Bernkastel-Wittlich, spricht im WOCH-Interview über die Herbst- und Winterdepression.

Was genau ist überhaupt eine Depression? Woran erkennt man sie?

Der Begriff Depression wird heutzutage sehr inflationär gebraucht. Im Alltag spricht man schon dann von Depressionen, wenn jemand mal eine Lebenskrise hat oder einfach mal nur einen schlechten Tag hat. Man muss natürlich unterscheiden, was wir aus medizinischer Sicht unter einer Depression verstehen. Das muss eine Kombination aus verschiedenen charakteristischen Symptomen sein, beispielsweise neben einer bedrückten Stimmung Antriebslosigkeit, Unruhe und vor allem Freudlosigkeit. Daran kann man es eigentlich am besten ausmachen. Ein richtig Depressiver ist nicht einfach nur traurig, er kann sich auch nicht mehr über irgendwelche Dinge freuen. Auch muss das eine ganze Zeit so gehen, also mindestens zwei Wochen, wenn nicht sogar viel länger.

Was ist der Unterschied zwischen einer Herbst-Winterdepression und einer „normalen“ Depression?

Bei der saisonalen Herbst-Winterdepression gibt es zwei Charakteristika, die bei der „normalen“ Depressionen anders sind. Der „normale“ Depressive hat in der Regel Schlafstörungen, liegt also viel wach im Bett. Dagegen klagt der Winterdepressive eher darüber, dass er viel mehr schläft als normal. Das können bis zu 16 Stunden am Tag sein. Er hat ein riesiges Schlafbedürfnis und eine ausgeprägte Energielosigkeit. Zwar würde er zwar gerne was machen, aber fühlt sich dann einfach zu schlapp. Auch haben Menschen mit einer „normalen“ Depression eine Appetitlosigkeit, manchmal mit drastischem Gewichtsverlust. Bei der saisonalen ist das genau andersrum. Die haben eher einen Heißhunger, vor allem auf Süßigkeiten. Dann gehen die Pfunde leider nach oben.

Was passiert da im Gehirn?

Grundsätzlich ist es so, dass unser Schlaf-Wach-Verhalten über den Lichteinfall getaktet wird. Also wenn wir dem Licht ausgesetzt werden, gibt es gewisse Veränderungen im Gehirn. Tagsüber wird vermehrt Serotonin ausgeschüttet und das Hormon Melatonin wird unterdrückt. Wenn es dann dunkel wird, passiert genau das Umgekehrte. Das ist bei den Betroffenen besonders ausgeprägt.

Was gibt es für therapeutische Ansatzpunkte?

Lichttherapie ist da eigentlich der Goldstandard. Morgens sollte der Patient sich eine halbe Stunde vor eine Lichttherapielampe setzen. Es reicht, wenn man dann immer mal wieder reinschaut. Man muss jetzt nicht eine halbe Stunde lang reinstarren, sondern kann nebenbei auch eine Zeitung lesen. Ein anderes Prinzip ist, den Serotonin­spiegel mit Medikamenten zu erhöhen. Eine Untergruppe der Antidepressiva sind die Serotonin-­Wiederaufnahmehemmer, die werden meistens bei der saisonalen Depression empfohlen. Sie setzen genau an dem Mechanismus an, den man als Ursache vermutet. Eine weitere Möglichkeit wäre es, die Vorläufer des Serotonins als Nahrungs­ergänzungsmittel einzunehmen. Wenn man das Serotonin selber nehmen würde, würde das nicht im Gehirn ankommen. Daher muss man den Vorläuferstoff aufnehmen. Es gibt Studien die zeigen, dass das ähnlich gut läuft wie Lichttherapie. Für Freunde der Naturheilkunde – Johanniskraut funktioniert wohl auch ganz gut.

Ab wann hat man eine saisonale Depression?

Es gibt immer wieder Leute, die sagen: Jetzt ist schon wieder Herbst und alles so trübe. Man muss also schon schauen, sind auch die klassischen Symptome einer Depression in einer gewissen Schwere vorhanden. Das fängt typischer Weise im Oktober an und endet dann so im März. Richtig bewiesen ist das erst, wenn das schon zweimal mit demselben Muster passiert. Dann kann man sich sicher sein, dass die Jahreszeit dabei ein Rolle spielt.

Wie häufig sind die Menschen betroffen? Wie viele sind hier im Kreis betroffen?

Das ist schon nicht so selten. In einer Studie aus den USA wurde auch nachgewiesen, dass mit höherem Breitengrad die Häufigkeit zunimmt. In unseren Breiten kann man sagen, dass ungefähr zwei bis drei Prozent der Bevölkerung betroffen sind. In Finnland sind das acht bis zehn Prozent. Wie das hier im Kreis aussieht, kann ich nicht sagen, da gibt es keine Untersuchungen zu.

Was kann man selbst dagegen tun?

Grundsätzlich kann man versuchen, dass bisschen Licht, was es um diese Jahreszeit gibt, möglichst effektiv zu nutzen. Die Empfehlung ist immer, möglichst viel raus zu gehen, da die Helligkeit draußen eine ganz andere ist, als wenn man sich in geschlossenen Räumen aufhält. Bewegung ist auch immer unglaublich hilfreich. Ansonsten kann man auch eine Tageslichtlampe ausprobieren. Die sind heutzutage günstig und keine große Investition. In der Regel merkt man da auch sehr schnell einen Effekt.

Ab wann sollte man zum Arzt und wo kann man sich melden?

Wenn das Ganze zu einer Einschränkung der Alltagsfähigkeit führt. Also wenn man beispielsweise merkt, ich komme morgens nicht mehr aus dem Bett und müsste jetzt meine Kinder zur Schule fertig machen. Und wenn das, was ich eben genannt habe auch nicht funktioniert, dann sollte man den Hausarzt anrufen.

Was kann man als Angehöriger tun?

Man sollte es unbedingt ansprechen. Möglichst nicht als Form eines Vorwurfes sondern als Form einer neutralen Beobachtung. Nach dem Motto: Ich habe festgestellt, dass sich dies und das bei dir verändert hat. Man sollte es aber auf jeden Fall ansprechen. Wenn man merkt, der Partner hängt total durch und man muss dessen Aufgaben erledigen, sorgt das für Unzufriedenheit.

Ist das durch Corona mehr geworden und ist man nun mehr gefährdet?

Ich vermute mal schon. Untersuchungen gibt es da nur im Ansatz. Auch hat das natürlich nichts mit der Saison zu tun. Das ist ein anderer Faktor, nämlich dass die Leute ihre sozialen Kontakte vermissen. Soziale Kontakte haben in der Regel auch eine starke antidepressive Wirkung. Daher kann man sich vorstellen, dass die Leute mehr leiden als in anderen Jahren. Ich würde das jetzt aber nicht mit der saisonalen Depression in Verbindung bringen.

Interview: Myriam Kessler

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