Bildung Sind Lehrer wirklich faule Säcke und Jammerlappen?

Zu unserem Artikel „Zu wenig Platz, zu wenig Masken: Lehrer schimpfen aufs Ministerium“ (TV vom 13. Mai) und der Leserzuschrift von Bernard Bölinger schreibt Gerhard Deussen, Schulleiter a.D., Wittlich

Das haben wir es wieder: Lehrer sind faule Säcke, die lieber zu Hause vor dem Fernseher sitzen, anstatt in der Schule zu unterrichten, und sie sind dazu noch Jammerlappen, die sich darüber beschweren, dass die Abstandsregeln schwer einzuhalten sind und die Ausstattung der Schulen mit Masken mangelhaft ist. Das jedenfalls meint Bernard Bölinger aus Konz, dessen polemische Leserzuschrift von erschreckend wenig Einblick in die derzeitigen Verhältnisse an den Schulen geprägt ist. Wie hätten Sie es denn gerne? Sollen die Schulen auf den Schulhöfen 800 bis 1000 Kinder ohne Abstandswahrung und womöglich ohne Masken aufeinander loslassen? Doch sicher nicht.

Das Wort der Monate April und Mai hieß übrigen „Homeschooling“. Mit zu Hause rumsitzen und volle Gehälter kassieren hat das wenig zu tun. Zur Illustration eine einfache Rechnung: Ein Lehrer unterrichtet sieben Klassen mit jeweils 25 Schülerinnen und Schülern in Deutsch und Englisch, macht zusammen 175 Schüler, denen er, so die Regelung an seiner Schule, drei Mal pro Woche Aufgaben stellen soll.

Wenn alle Schüler ihren Job ernst nehmen und die Aufgaben zurückschicken, dann erhält der Lehrer 525 Hausaufgaben zur Durchsicht zurück. Ich erspare mir die Umrechnung in Arbeitszeit, aber mit „faul zu Hause rumsitzen“ hat das wahrhaftig nichts zu tun.

Ein Zweites: Ein Nebenfachlehrer unterrichtet sein Fach mit zwei Wochenstunden in der 8. Klasse. Seine Stunden liegen ungünstig auf Donnerstag und Freitag. Die Klasse kommt am 8. Juni in den Unterricht zurück und wird wegen der Abstandsregeln in eine A-Gruppe und eine B-Gruppe aufgeteilt.  Jede Gruppe wird im 14-tägigen Rhythmus unterrichtet. Für die A-Gruppe fällt der Unterricht in der ersten Woche sofort aus – Fronleichnam. Der nächste Termin ist zwei Wochen später, und wieder zwei Wochen später beginnen freitags bereits die Sommerferien. Die Lerngruppe erhält also in diesem Fach drei, maximal vier Stunden Unterricht.

Den tieferen Sinn solchen Treibens darf man getrost in Frage stellen. Ohne die Weisheit des Bildungsministeriums anzweifeln zu wollen, würde ich hier von „Symbolpolitik“ sprechen. Dafür auch noch gesundheitliche Risiken für alle Beteiligten einzugehen, ist abenteuerlich.

Zum gleichen Thema schreibt Patrick Lenz, Trier:

Es passt mal wieder ins Bild… Lehrer haben vormittags Recht und nachmittags frei, und jetzt beschweren sie sich auch noch, dass sie nach zwei Monaten „Urlaub“ tatsächlich, noch einmal unterrichten müssen.

Ich unterrichte die Fächer Mathematik und Physik, liebe meinen Beruf und bin (wie die allermeisten von uns) niemand, der (Arbeits-)Stunden zählt. Für die gesamte Gesellschaft war und ist diese Corona-Krise eine Herausforderung, der auch wir uns stellen mussten. Und ich kann – Stand heute – sagen, dass wir das getan haben und durchaus erfolgreich!

Blicken wir doch einmal auf die Situation vor Corona zurück: Jeder hat auf die mangelhafte Digitalisierung unseres Bildungssystems geschimpft, von Seiten der Politik wurde der Digitalpakt initialisiert, der in der Umsetzung unglaubliche Hürden (z.B. in Form von sehr umfangreichen Anträgen) mit sich brachte, und dann kam Freitag, der 13. Der 13. März 2020: Schulen zu! Unterricht digital! Notengebung? Konzepte folgen…

Bei vielen Schülern war die erste Reaktion „Cool, wir haben längere Ferien!“, bei vielen Kollegen eine Mischung aus Überraschung, Unsicherheit und Zweifel. Wie kann auf der einen Seite unsere mangelnde Digitalisierung kritisiert werden und auf der anderen verlangt werden, dass wir von heute auf morgen „digitalen Unterricht“ garantieren können, zudem parallel zur Organisation des mündlichen Abiturs?!

Und dann ging alles ganz schnell. Das mündliche Abitur wurde mit minimalem Personal durchgeführt und gleichzeitig die Registrierung der Schülerinnen und Schüler auf der Lernplattform „moodle“ schnellstmöglich organisiert.

Es folgte die digitale Unterrichtsversorgung. Keiner von uns war bisher gewöhnt, Unterrichtsinhalte regelmäßig digital so aufzuarbeiten, dass unsere Schülerinnen und Schüler damit klarkommen und eine Progression gewährleistet ist.

Wer also behauptet, dass wir in den gut zwei Monaten der Schulschließung untätig waren, dem stelle ich gerne meinen Browser-Verlauf und meine Telefonzeiten mit Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung!

Nun kam der 4. Mai 2020 und damit ein weiterer Grund für uns Lehrer, unser Image als „Jammerlappen“ zu bestätigen… Aber werfen wir doch einen Blick auf die Tatsachen: 170 Schüler wieder im Gebäude, Masken sollen privat organisiert werden (notfalls stehen Masken für Schüler, nicht für Lehrer zur Verfügung), Abstandsgebot und Maskenpflicht sind strikt einzufordern ...

In stundenlangen Sitzungen wurde geplant, wie dies umzusetzen ist, sodass wir für den 4. Mai eine durchführbare Regelung gefunden haben. Betrachtet man nun nach zwei Wochen die Realität, kann man sagen, dass jeder (sowohl Schüler als auch Lehrer) sich bemüht, die Vorgaben umzusetzen. Allerdings wird jeder, der schon einmal mit Kindern und/oder Jugendlichen gearbeitet hat, bestätigen, dass diese sich manchmal einfach nicht auf Distanz halten lassen und, das betone ich im Besonderen, nicht, weil sie sich absichtlich nicht an die Vorgaben halten wollen!

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir als Kollegium einen großen Schritt in Richtung der Digitalisierung gegangen sind, viele Schüler und Eltern uns positive Rückmeldung zu unseren Bemühungen gegeben haben und wir auch jetzt versuchen – bestmöglich – die Vorgaben der Politik umzusetzen.

Ich lade jeden herzlich ein, sich selbst ein Bild zu machen und mich einen Tag zu begleiten!

Lehrern Faulheit zu unterstellen in einer Zeit, in der auch für sie das Arbeitsleben völlig auf den Kopf gestellt ist und ihnen etwas völlig Neues abverlangt, zeigt, wie wenig derjenige vom Lehrerberuf grundsätzlich und insbesondere zu Zeiten von Corona versteht!

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