Volksfreund-Serie Untergang Römisches Reich, Teil 2 Römisches Trier vor 1600 Jahren: Der tiefe Fall der Kaiserresidenz

Trier · Wie war das eigentlich, als das römische Reich unterging? Als das fließende Wasser versiegte, Zehntausende Einwohner verschwanden und die kunstvollen Monumentalbauten nur noch als Zufluchtsort für die zurückgebliebenen Menschen dienten? An der Stadt Trier lässt sich der Niedergang gut ablesen, denn in der einst prachtvollen Kaiserresidenz war die Fallhöhe besonders groß.

Herausragender Fund: Diese Silberkanne aus dem 5. Jahrhundert tauchte bei Grabungen nahe der Mosel in Trier auf. Forscher vermuten, dass sie zu einem eilig versteckten größeren Silberschatz gehörte, dessen andere Teile im 17. Jahrhundert gefunden und eingeschmolzen wurden.  Foto: Thomas Zühmer, Rheinisches Landesmuseum Trier

Herausragender Fund: Diese Silberkanne aus dem 5. Jahrhundert tauchte bei Grabungen nahe der Mosel in Trier auf. Forscher vermuten, dass sie zu einem eilig versteckten größeren Silberschatz gehörte, dessen andere Teile im 17. Jahrhundert gefunden und eingeschmolzen wurden. Foto: Thomas Zühmer, Rheinisches Landesmuseum Trier

Foto: Rheinisches Landesmuseum Trier/Thomas Zuehmer

Es musste offenbar schnell gehen. Was diese reichen Trierer Bürger in der Katastrophenzeit des 5. Jahrhunderts noch in Sicherheit bringen wollten, war äußerst wertvoll, und die Zeit drängte. Vielleicht waren Plünderer bereits in der Stadt, deren Mauer schon nicht mehr vor Überfällen schützte. Wir wissen es nicht. 1992 wurde jedenfalls eine achteckige Silberkanne mit Deckel und Griffstange im Boden der heutigen Feldstraße in Trier nahe der Mosel geborgen, die Experten zufolge aus der Zeit zwischen 410 und 440 stammt und wohl Angehörigen des Senatorenstandes gehörte. Während die Kanne über 1500 Jahre im Boden blieb, wurde der größte Teil des dort gefundenen Tafelsilberschatzes bereits im Jahr 1628 entdeckt - und eingeschmolzen.

Die Silberkanne, die auch in der Landesausstellung „Der Untergang des römischen Reiches“ ab 25. Juni im Rheinischen Landesmuseum in Trier zu sehen sein wird, gilt als Indiz für die wirren, gefährlichen Verhältnisse, unter denen die Einwohner nach dem Abzug von römischem Kaiserhof und Verwaltung lebten. „Hier verlassen Eliten gehetzt und rasch die Stadt, können viele ihrer Luxuserzeugnisse nicht mehr mitnehmen, lassen die zurück und kommen später nicht mehr dran“, sagt Lukas Clemens, Professor für Geschichte an der Universität Trier.

Auffallend sei auch, dass plötzlich keine Mosaikböden mehr errichtet wurden, von denen die Römer zuvor so viele schufen. „Diese Pracht und dieser Luxus hören im späten 4. Jahrhundert auf.“ Überhaupt dünnen die archäologischen Funde in der Folgezeit ganz stark aus. „Münzfunde reißen ab“, sagt Clemens.

Der Schwund an Quellen über die Zeit der ausgehenden Antike machte es den Kuratoren im Rheinischen Landesmuseum, wo der Niedergang des Imperiums veranschaulicht werden soll, nicht gerade leicht. „Wir können sagen, was vorher war und wie es danach aussieht“, erklärt Ausstellungskuratorin Dr. Korana Deppmeyer. Für die lange Zeit des Niedergangs gebe es kaum belegbare Fakten. „Wir sammeln nur Indizien, die uns eine Richtung weisen können“, sagt sie. Aber sicher ist trotzdem, dass die Gesellschaft und die Infrastruktur 100 Jahre nach dem Abzug des weströmischen Kaisers aus der Stadt eine vollkommen andere waren. Was also wissen wir über den Untergang? Fünf Fakten:

Fakt ist, dass die riesigen Thermenanlagen nicht weiter genutzt wurden. In den Abwasserkanälen der Barbarathermen fand man in den obersten Sedimentschichten Keramik aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts – ein Beleg dafür, dass der Badebetrieb endete. Die Anlage mit ihren 15 Becken galt zur Zeit ihrer Erbauung im 2. Jahrhundert als die zweitgrößte Thermenanlage im ganzen römischen Reich. Auch für Bürger, die an fließendes Wasser im Haus, Kanalisation oder gar den Privat-Pool gewöhnt waren, brachen nun düstere Zeiten an. Die Rohre wurden nicht mehr gewartet und waren so dem Verfall preisgegeben.

Das traf auch die 13 Kilometer lange Wasserleitung aus dem Ruwertal, die die einstige Metropole versorgt hatte. „Das Know-how war da“, erklärt Professor Clemens, „aber es gibt nicht die Strukturen, das zu organisieren.“ Clemens vergleicht die Entwicklung mit dem Zusammenbruch der Infrastruktur im Jugoslawien-Krieg in den 1990er Jahren, wo Energie- und Wasserversorgung nicht mehr funktionierten. In Trier wurde die römische Wasserleitung nicht reaktiviert, stattdessen leitete man später den Olewiger Bach in die Stadt um. Doch wann dies geschah, bleibt völlig offen.

Fakt ist, dass die Bevölkerung drastisch schrumpfte. Am Anfang des langen Transformationsprozesses stehen laut Clemens rund 40.000 Einwohner – eine Zahl, die er daraus ableitet, dass an der Mosel, anders als im Mittelmeerraum, keine vielstöckigen Mietskasernen standen und viele Flächen, etwa bei den Großbauten, nicht für Wohnzwecke zur Verfügung standen. Am Ende des Übergangs zum Frühmittelalter schätzt der Historiker die Einwohnerzahl auf lediglich ein paar Hundert.

Definitiv belegt seien in der verlassenen Stadt Siedlungen im Bereich der Großbauten Kaiserthermen, Barbarathermen, Dom und bei den Horrea (Speicheranlagen) nahe des Hafens. Nach der Überlieferung des frühmittelalterlichen Chronisten Fredegar verschanzten sich die Trierer Einwohner vor Angreifern im Amphitheater. Dazu passt, dass dessen nördliches Tor zugemauert wurde – das einzige archäologische Indiz dafür, dass hier keine Gladiatoren mehr kämpften. Und bei den Barbarathermen wurden Keramik und Glas produziert. Es gab also nach dem Abzug von Kaiser, Verwaltung, Militär und Leuten, die sich in Sicherheit bringen – vielleicht auch die Besitzer der vergrabenen Silberkanne – Menschen, die sich entschieden zu bleiben.

Vier mal wurde die Stadt in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts überfallen, berichten alte Quellen. Der Priester Salvian von Marseille, der ursprünglich aus der Region stammt und auch eine dieser Eroberungen und Zerstörungen von Trier miterlebt hat, schreibt drastisch über herumliegende Leichen, über Hunger, Kälte, Brand und Elend.

Salvians Bericht ist jedoch umstritten, weil er die Katastrophe mit dem wenig gottesfürchtigen Leben der Einwohner in Verbindung bringt, deren Eliten als Trostmittel vom Kaiser auch noch Zirkusspiele gefordert hätten. „Wir haben archäologisch überhaupt keinen einzigen Beleg“, sagt Ausstellungskuratorin Deppmeyer über die Barbaren-Angriffe. Immerhin lässt sich aus Salvians Worten ableiten, dass der Zirkus in Trier noch bestand. Wie lange, das weiß man nicht. Spätestens seit dem 6. Jahrhundert gehörte das Moselgebiet zum Großfränkischen Reich König Chlodwigs.

Der Untergang des römischen Reiches bringt einschneidende Veränderungen bei Bestattungen mit sich. Hatten die Römer ihre Toten jahrhundertelang immer, wie es Gesetz war, vor den Toren der Stadt beerdigt, findet man ab der ausgehenden Spätantike nun auch Gräber innerhalb der Stadt. „Die antiken Traditionen werden mit dem Zusammenbruch von Siedlungsgefüge aufgeweicht“, erklärt Clemens. Indem die römische Stadtmauer ihren Nutzen verliere, bestatteten die Menschen die Toten lieber in Siedlungsnähe – eine Entwicklung, die man auch andersorts, etwa in Rom, beobachten kann.

Olivenöl aus Spanien, Fischsoße aus Frankreich, Marmor aus Italien – das alles brachten Händler im römischen Imperium über weite Wege auch nach Trier. Der Untergang des Reiches schuf neue, regionale Märkte. Statt des römischen Meersalzes zum Beispiel wandte man sich wieder einem Salinengebiet in der Nähe von Metz zu – der Region an der Seille, wo man bereits in keltischer Zeit Salz gewonnen hat. „Seit dem 6. Jahrhundert wird dieses Seille-Gebiet, das unter der Kontrolle des Bischofs von Metz steht, ein riesiger Wirtschaftsfaktor“, erklärt Professor Clemens. Salz als „der Kühlschrank der Vormoderne“ sei so wichtig gewesen, dass sich beispielsweise die Abtei Prüm oder St. Eucharius aus Trier dort eigene Salinen gesichert hätten.

Niedergang, aber kein Aus: „Eigentlich ist das Wort Untergang falsch“, resümiert Deppmeyer mit Blick auf die Umbrüche der Gesellschaft nach dem Abzug des Kaiserhofs. „Es gab hier nie ein komplettes Aus. Die Stadt existierte immer weiter – bis heute.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort